„Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen, als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“ (Karl Marx, Lohn, Preis und Profit, Peking, 1975, S. 76)
Warum die Gewerkschaften unbedingt ihr Ziel – der Befreiung der Arbeiterklasse vom kapitalistischen Lohnsystem – verfolgen und einen Kampf für Verbesserung der Löhne und die Verringerung der Arbeitszeit führen müssen, um die Massen der Klasse immer besser zu organisieren, wird bei der Lektüre des Kapitel VIII. Der Arbeitslohn des Buches „Politische Ökonomie. Lehrbuch“ (Dietz-Verlag, Berlin/DDR, 1955, S. 140-156) deutlich. Jedes Mitglied einer Gewerkschaft, sollte diese Lehren kennen und beachten. Aktuelle Daten und Fakten zu diesem Thema liefert der Artikel „1. Mai 2022: Alle gemeinsam gegen Krise und Krieg und Kapital“ der Zeitung „Arbeit Zukunft“: www.arbeit-zukunft.de/2022/04/21/1-mai-2020-alle-gemeinsam-gegen-krise-und-krieg-und-kapital/
Kapitel VIII. Der Arbeitslohn
Der Preis der Arbeitskraft. Das Wesen des Arbeitslohns.
Wie jede andere Ware hat auch die Arbeitskraft in der kapitalistischen Produktionsweise einen Wert. Der in Geld ausgedrückte Wert der Arbeitskraft ist der Preis der Arbeitskraft.
Der Preis der Arbeitskraft unterscheidet sich vom Preis der übrigen Waren. Verkauft ein Warenproduzent zum Beispiel Leinwand auf dem Markt, dann stellt die ihm dafür gezahlte Geldsumme nichts anderes dar als den Preis der verkauften Ware. Wenn aber der Proletarier seine Arbeitskraft an den Kapitalisten verkauft und dafür eine bestimmte Geldsumme in Form des Arbeitslohns erhält, dann entsteht der Anschein, als stelle diese Geldsumme nicht den Preis der Ware Arbeitskraft, sondern den Preis der Arbeit dar.
Dies hat folgende Ursachen. 1. zahlt der Kapitalist dem Arbeiter erst dann einen Arbeitslohn, wenn der Arbeiter bereits gearbeitet hat. 2. wird der Arbeitslohn entweder anhand der Menge der geleisteten Arbeitszeit (Stunden, Tage, Wochen) oder anhand der Menge der hergestellten Erzeugnisse festgelegt. Verwenden wir das obige Beispiel. Angenommen, der Arbeiter arbeite 8 Stunden am Tag. Im Verlaufe von 4 Stunden schafft er einen Wert von 80 Euro, der dem Wert seiner Arbeitskraft entspricht. Während der restlichen 4 Stunden schafft er einen Wert von 80 Euro, den sich der Kapitalist als Mehrwert aneignet. Da der Kapitalist aber den Proletarier für den vollen Arbeitstag gedungen hat, bezahlt er ihm für die ganzen 8 Stunden Arbeit 80 Euro. Auf diese Weise entsteht die Vorstellung, als sei der Arbeitslohn der Preis der Arbeit, als würde mit den 80 Euro der ganze 8stündige Arbeitstag voll bezahlt. In Wirklichkeit aber stellen die 80 Euro nur den Tageswert der Arbeitskraft dar, während die Arbeit des Proletariers einen Wert von 160 Euro geschaffen hat. Wenn sich hingegen die Bezahlung nach der Menge der hergestellten Erzeugnisse richtet, entsteht der Anschein, als werde dem Arbeiter die von ihm zur Herstellung einer jeden Wareneinheit aufgewandte Arbeit bezahlt, d.h., auch hier entsteht die Vorstellung, als erhalte der Arbeiter die aufgewandte Arbeit voll bezahlt.
Diese falsche Vorstellung ist kein zufälliger Irrtum. Sie ergibt sich aus den spezifischen Bedingungen der kapitalistischen Produktion, bei der die Ausbeutung verdeckt, d.h. maskiert ist und sich das Verhältnis des Unternehmers zum Lohnarbeiter in entstellter Form, als Verhältnis einander gleicher Warenbesitzer darstellt.
In Wirklichkeit stellt der Arbeitslohn des Lohnarbeiters nicht den Wert oder Preis seiner Arbeit dar. Wenn die Arbeit eine Ware ist und Wert besitzt, so muss die Größe dieses Werts durch irgend etwas gemessen werden. Offensichtlich muss die Größe des „Werts der Arbeit“ wie bei jeder anderen Ware durch die Menge der in ihr enthaltenen Arbeit gemessen werden. Unter dieser Voraussetzung ergibt sich der fehlerhafte Schluss: Arbeit wird durch Arbeit gemessen.
Ferner, wenn der Kapitalist dem Arbeiter den „Wert der Arbeit“ bezahlte, d.h., wenn er die Arbeit voll bezahlte, dann gäbe es keine Quelle für das Wachstum des investierten Kapitals und damit keine Bereicherung des Kapitalisten. Mit anderen Worten, unter dieser Voraussetzung könnte die kapitalistische Produktionsweise überhaupt nicht bestehen.
Die Arbeit schafft den Wert der Waren, ist aber selbst keine Ware und besitzt daher selbst keinen Wert. Das, was im gewöhnlichen Leben „Wert der Arbeit“ genannt wird, ist in Wirklichkeit der Wert der Ware Arbeitskraft.
Der Kapitalist kauft also auf dem Markt nicht die Arbeit, sondern eine besondere Ware – die Arbeitskraft. Der Gebrauch der Arbeitskraft, das heißt die Verausgabung von Muskel, Nerv und Hirn des Arbeiters, ist die Arbeit im Produktionsprozess. Der Wert der Arbeitskraft ist stets geringer als der durch die Arbeit des Arbeiters geschaffene Neuwert. Da aber der Arbeitslohn der Form nach die Bezahlung der Arbeit zu sein scheint, entsteht die Vorstellung, als werde der gesamte Arbeitstag voll bezahlt. Daher nennt Marx den Arbeitslohn in der bürgerlichen Gesellschaft die verwandelte Form des Werts oder Preises der Arbeitskraft. Marx stellt fest, dass der Arbeitslohn „nicht das ist, was er zu sein scheint, nämlich der Wert, respektive Preis der Arbeit, sondern nur eine maskierte Form für den Wert, respektive Preis der Arbeitskraft.“ (MEW 19, S. 25) Der Arbeitslohn ist der Geldausdruck des Werts der Arbeitskraft, ihr Preis, der als Preis der Arbeit erscheint.
In der Sklavenhaltergesellschaft findet zwischen Sklavenhalter und Sklave kein Kauf und Verkauf der Arbeitskraft statt. Der Sklave ist Eigentum des Sklavenhalters. Daher entsteht der Anschein, als verrichte der Sklave die gesamte Arbeit unentgeltlich, als sei sogar der Teil der Arbeit, der die Aufwendungen für die Erhaltung des Sklaven ersetzt, unbezahlte Arbeit, Arbeit für den Sklavenhalter. In der Feudalgesellschaft sind die notwendige Arbeit des Bauern in der eigenen Wirtschaft und die Mehrarbeit in der Wirtschaft des Gutsherrn zeitlich und räumlich deutlich voneinander geschieden. In der kapitalistischen Ordnung dagegen erscheint selbst die unbezahlte Arbeit des Lohnarbeiters als bezahlt.
Der Arbeitslohn löscht jede Spur der Teilung des Arbeitstages in notwendige und Mehrarbeitszeit, in bezahlte und unbezahlte Arbeit aus und maskiert damit das Verhältnis der kapitalistischen Ausbeutung.
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