Gruppe der 77 und BRICS sowie die Weltwirtschaftsordnung

Um eine genauere Einschätzung der Staatenbündnisse Gruppe der 77 (G77) und BRICS bekommen zu können, wird nachfolgend ein Artikel über den G77-Gipfel in Havanna des vietnamesischen Auslandssenders http://www.vovworld.vn zum jüngsten G77-Gipfel in Havanna sowie die Rede des kubanischen Präsidenten Diaz-Canel vor dem BRICS-Gipfel in Johannisburg (Südafrika) vom 24. August 2023 abgedruckt:

G77 kämpft für eine gerechtere Wirtschafts- und Sozialordnung in der Welt

von Quang Dung –  Dienstag, 19. September 2023

(VOVWORLD) – Der Gipfel der Entwicklungs- und Schwellenländer des globalen Südens (G77) und Chinas hat am letzten Wochenende in der kubanischen Hauptstadt Havanna stattgefunden. Dabei wurde die Rolle von Wissenschaft, Technologie und Innovation als ein neuer Impuls für die Entwicklung der Entwicklungsländer bekräftigt. Auch die Botschaft der G77 über die Notwendigkeit, große Institutionen in der Welt grundlegend zu verändern, wurde dabei gewürdigt. 

Nach zwei Sitzungstagen gaben die G77-Staaten eine Abschlusserklärung mit 46 Punkten ab. Darin rief die G77 die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen und internationale Finanzorganisationen auf, die Mühe der Länder des globalen Südens bei der Entwicklung von Wissenschaft, Technologie und Innovation zu unterstützen. Die Erklärung reflektierte ebenfalls den gemeinsamen Wunsch zahlreicher Staats- und Regierungschefs der G77 nach einer gerechteren internationalen Wirtschafts- und Sozialordnung. 

Beseitigung der Ungerechtigkeit in Wissenschaft und Technologie

Unter dem Motto „Aktuelle Entwicklungsherausforderungen: Die Rolle von Wissenschaft, Technologie und Innovation“ konzentrierten sich die Teilnehmer darauf, Maßnahmen vorzuschlagen, um die Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technologie und Innovation in die Entwicklungsstrategie der Mitgliedstaaten umzuwandeln. Auch die Verringerung der Entwicklungslücke zwischen den G77-Staaten und den entwickelten Ländern wurde dabei besprochen. Die Staatengemeinschaft strebt an, die Diskriminierung beim Zugang zu wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten abzubauen. Kubas Staatschef Miguel Díaz-Canel betonte, laut UN-Daten kämen 90 Prozent der Patente und 70 Prozent der Exporte fortschrittlicher Produktionstechnologien aus nur zehn Ländern. Die Gruppe G77 müsse diese Ungerechtigkeit bekämpfen.

„Wir sollten für das Recht auf Entwicklung kämpfen. Das ist auch das Recht zu existieren. Nur so werden wir in der Lage sein, gleichberechtigt an der wissenschaftlich-technologischen Revolution teilzunehmen.“

Die Ansicht des kubanischen Staatschefs wurde von zahlreichen G77-Mitgliedsstaaten unterstützt. Brasiliens Präsident Lula da Silva erklärte, dass Brasilien, das im Jahr 2024 den Vorsitz der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) innehat, die Gründung von Arbeitsgruppen für Wissenschaft, Technologie und Innovation vorschlagen werde. Ziel sei es, die Interessen der Entwicklungsländer in diesem Bereich zu fördern. Die Teilnehmer waren übereingekommen, den 16. September zum Tag der Wissenschaft, Technologie und Innovation im globalen Süden zu erklären.

Etablierung einer gerechteren Ordnung

Neben der Stärkung der Zusammenarbeit in Wissenschaft, Technologie und Innovation forderten die G77-Staaten grundlegende Veränderungen im globalen Management.

Argentiniens Präsident Alberto Fernandez erinnerte an die Ungleichheit beim Impfstoffzugang in der Zeit der Covid-19-Pandemie. Denn 90 Prozent der Impfstoffe gegen Covid-19 kämen aus etwa zehn Ländern. Palästinas Präsident Mahmud Abbas und Kolumbiens Präsident Gustavo Petro kritisierten die Doppelmoral zahlreicher Mächte bei der Beseitigung großer Konflikte in der Welt. Gleichzeitig forderten sie die UNO auf, die Stimme von Staaten des globalen Südens zu respektieren.

Dieser Aufruf erhielt die Unterstützung des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres. Er würdigte die Anstrengungen der Staaten des globalen Südens zur Verbesserung ihrer Position auf der internationalen politischen Bühne. 

„Die Armut nimmt zu, die Preise steigen, die Staatsverschuldung ist astronomisch hoch und Klimakatastrophen sind populärer. Globale Systeme und Rahmenbedingungen sind gescheitert. Die Welt lässt die Entwicklungsländer im Stich.“

In einer offiziellen Mitteilung nach der Abschlussfeier des Gipfels von G77 und China teilte Kuba mit, dass Kubas Staatschef Miguel Diaz-Canel der hochrangigen Woche der 78. Tagung der UN-Generalversammlung in New York die Botschaften der Gruppe 77 bringen werde. Als G77-Vorsitz werde Kuba die Interessen und gerechten Forderungen der Staatengemeinschaft schützen, hieß es.

Quelle: http://www.vovworld.vn/de-DE/politische-aktualitat/g77-kampft-fur-eine-gerechtere-wirtschafts-und-sozialordnung-in-der-welt-1233076.vov

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Deutschland will türkische und palästinensische Revolutionär:innen abschieben

Nachfolgend wird ein Beitrag von http://www.perspektive-online.net vom 24.09.2023 abgedruckt, in dem es um die Abschiebepraxis des BRD-Staatsapparates und die undemokratische Praxis der Verfolgung durch die Paragraphen 129 a/b des deutschen Strafgesetzbuches geht:

Die deutschen Behörden arbeiten auf die Abschiebung weiterer revolutionärer Aktivist:innen aus der Türkei und Palästina hin. Konkret betroffen sind die türkische Kommunistin Banu Büyükavci und der palästinensische Aktivist Zaid Abdulnasser.

Der Versuch deutscher Behörden, politisch unliebsame linke Aktivist:innen in ihre Herkunftsländer abzuschieben und sie somit in vielen Fällen nicht nur politischer Repression, sondern oftmals auch sehenden Auges der Gefahr von Inhaftierung und Folter auszusetzen, ist leider nichts Neues. In den letzten Wochen sind aber in dieser Hinsicht zwei Fälle öffentlich geworden, die von besonderer Bedeutung sind.

Die türkische Kommunistin Banu Büyukavci aus Nürnberg soll ausgewiesen werden. Sie ist für die deutsche Justiz keine Unbekannte, denn im Juli 2020 wurde sie auf Grundlage des Paragraphen 129b in München verurteilt. Aufgrund der sehr langen Untersuchungshaft kam sie jedoch frei. Vorgeworfen wurde ihr, verantwortliches Mitglied in der TKP/ML zu sein.

Das Landesamt für Asyl und Rückführungen in Bayern hat nun die Ausweisung angeordnet und sie  damit begründet, dass Banu Büyukavci eine Gefahr für die Demokratie und öffentliche Ordnung in Deutschland darstelle. Schon vor zwei Jahren hatte es einen Versuch gegeben, ihre Ausreise zu erzwingen, was damals jedoch durch eine breite Solidaritätskampagne mit dem Hashtag-Titel „Banu muss bleiben“ abgewehrt werden konnte. Unterstützt hatte diese Kampagne offiziell sogar Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus Königs (CSU).

Als Zweitem wird dem Deutschland-Koordinator der palästinensischen Gefangenen-Solidaritätsorganisation “Samidoun”, Zaid Abdulnasser, mit der Abschiebung gedroht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begründet den Entschluss, Zaid Abdulnasser seine Aufenthaltserlaubnis zu entziehen, dabei explizit mit dessen politischem Engagement bei Samidoun und “Masar Badil”, einer weiteren revolutionären, palästinensischen Organisation.

In einer Protesterklärung gegen Zaids Abschiebung, die von über 130 Organisationen unterzeichnet wurde, heißt es unter anderem:

„Durch die Förderung intensiver Verleumdungskampagnen gegen Palästinenser und pro-palästinensische Organisationen und die Nutzung dieser Verleumdungen zur Rechtfertigung der wiederholten Verbote von Veranstaltungen und zur Dämonisierung von Palästinensern und Arabern in Deutschland im Allgemeinen und in Berlin im Besonderen – der Heimat der größten palästinensischen und arabischen Gemeinschaft in Europa – versucht der deutsche Staat verzweifelt, Palästinenser daran zu hindern, sich zu organisieren und für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.“

Quelle: http://www.perspektive-online.net/2023/09/deutschland-will-tuerkische-und-palaestinensische-revolutionaerinnen-abschieben/?fbclid=IwAR1AjAx92LHRlxYKJZJvw3R0BdkvGryPcOobRiric7OppV1137t-WzKt6fw

Logik der “Asyldebatte”: Länder zerstören, Grenzen hochziehen, billige Arbeitskräfte reinlassen, den Rest abschieben

Nachfolgend wird ein Kommentar zur sog. „Asyldebatte“ in der BRD abgedruckt, der zuerst auf http://www.perspektive-online.net erschienen ist:

Die Union fordert vom Kanzler, eine “Asylwende” einzuleiten. In einem Antrag spricht sich die Bundestagsfraktion von CDU und CSU für einen “Deutschland-Pakt in der Migrationspolitik” aus. Für den deutschen Kapitalismus rücken in dieser Frage alle bürgerlichen Parteien zusammen: die CDU konservativ-national, die FDP neoliberal, die AfD quasi-faschistisch, die SPD nationalistisch, die Grünen nur mit “schlechtem Gewissen” und die Linke gespalten. Welche Linie bildet sich in der aktuellen Asyldebatte heraus und wie könnten wirkliche Lösungen aussehen? – Ein Kommentar von Ahmad Al-Balah.

In der herrschenden Klasse steht einmal mehr das Thema “Migration” auf der Tagesordnung. Es ist nicht so, dass die Streitfrage in Deutschland gerade jetzt besonders akut wäre. Die Zahl an Asylbewerber:innen in Deutschland ist z.B. gar nicht so „stark gestiegen“, wie die aktuelle Medienberichterstattung es uns glauben machen möchte: In den ersten acht Monaten diesen Jahres stellten 204.461 Menschen in Deutschland einen Asylantrag. Im Jahr 2022 waren es insgesamt auch schon 217.774 Erstanträge. 

Was dagegen natürlich ansteigt, ist die Zahl der Menschen aus besonders unterdrückten Teilen dieser Erde: Mit der zunehmenden Verarmung der Arbeiter:innenklasse weltweit durch den Kapitalismus (Ausbeutung, Kriege, Umweltkatastrophen, Wirtschaftskrisen) sehen sich immer mehr Menschen in ihrer Verzweiflung gezwungen, sogar ihr Leben dafür zu geben, um nach Deutschland, dem Herzen des europäischen Kapitalismus, zu gelangen, und hier für einen besseren Lohn direkt für die Großkonzerne arbeiten zu dürfen.

Doch eine unkontrollierte Migration, bei der massenhaft nicht qualifizierte Arbeiter:innen nach Deutschland kommen, scheint derzeit nicht im Interesse der deutschen Kapitalist:innenklasse zu liegen. Das ist einerseits auf den Mangel speziell an Fachkräften zurückzuführen, andererseits auf die ideologische Vorbereitung der Bevölkerung auf kommende Kriege und Krisen in Form eines erstarkenden Nationalismus’.

Die bürgerlichen Parteien halten zusammen: gegen Migrant:innen

Die CDU fordert mit ihrem Antrag daher, eine „Asylwende” einzuleiten. Wer bereits in anderen Mitgliedsstaaten einen Asylantrag gestellt habe oder wessen Asylantrag abgelehnt worden sei, solle “bei eigenmächtiger Weiterreise innerhalb der EU an den Binnengrenzen zurückgewiesen werden können”, fordert die Union in ihrem Antrag.

Außerdem solle die Liste der asylrechtlich sicheren Herkunftsstaaten um Georgien, Moldau, Indien sowie um die Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko und Algerien erweitert werden, um Asylverfahren beschleunigt durchführen zu können.

Auch solle die Bundesregierung dem Antrag zufolge an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz “stationäre Grenzkontrollen” mit ergänzender flexibler Schleierfahndung etablieren. Zudem sollen Anreize für eine Sekundär-Migration nach Deutschland gesenkt werden: Die Aufnahme geflüchteter Menschen müsse „deutlich, sehr deutlich in sehr kurzer Zeit runter”, so CDU-Vize Spahn.

Aus der CDU heißt es in Anlehnung an den nationalistischen Vorstoß der SPD von Anfang September, es sei auch ein „Deutschland-Pakt für die Migration“ notwendig und meinte damit, die ausländische Migration für den deutschen Kapitalismus nutzbar zu machen. Unionsfraktionsvize Jens Spahn formulierte dazu im ZDF, es sei eine gemeinsame Entscheidung in der demokratischen Mitte zum Thema Migration nötig, um Populisten von links und rechts und Radikalen das Wasser bei dem Thema abzugraben. Beim Thema Migration geht es also – wenn man genauer hinhört – auch um die Profilierung der unterschiedlichen bürgerlichen Lager für den Machtkampf in Deutschland.

Auch “linke” Parteien bei Asylverschärfung dabei

Im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF warnte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nun vor “scharfen Tönen und Parolen” im Wahlkampf. Dabei hatten die Grünen erst im Juni ihrerseits einer Verschärfung des EU-Asylrechts zugestimmt.

Selbst Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) stimmt für eine restriktive Migrationspolitik. Obgleich er dabei auf die „Belastung der Kommunen“ verweist und sich „gegen polizeiliche Grenzkontrollen“ ausspricht, scheint sich auch die Linke nicht in Solidarisierung mit Geflüchteten zu üben. Der Rechtsruck findet allerdings nicht nur in Thüringen aufgrund der AfD-Stimmgewinne statt. Davon zeugen sowohl die Töne von Sarah Wagenknecht wie auch die aller anderen bürgerlichen Politiker:innen.

Die SPD wirbt sowohl “rechts” wie “links” und nimmt somit eine zentralistisch-nationalistische Position ein. Während Bundespräsident Steinmeier Deutschland und Italien an der “Belastungsgrenze” sieht, schlägt Innenministerin Faeser als „trojanisches Pferd“ vor, die Migration innenpolitisch reformieren zu wollen. Beide argumentieren scheinheilig, dass Deutschland warte, wie und dass sich Italien in der Sache positioniere – als ob das Land nicht von einer Faschistin regiert würde.

FDP-Chef Lindner schließlich fordert im Interview, die Kontrolle an den Grenzen zurückzugewinnen. Schließlich koste „ungeordnete Migration inzwischen viele Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt für Investitionen, weil viele Jahre seit 2015 der Mut zur Konsequenz fehlte.“ Er nehme große Offenheit für die Zuwanderung qualifizierter Menschen wahr, aber keinerlei Bereitschaft mehr, ungeordnete Migration in unsere Sozialsysteme zu tolerieren. 

Dieses Mantra ist längst in die rechten und die links-liberalen Schichten der Gesellschaft eingedrungen. Ein „Migrationsforscher“ im Dienste der Bürgertums spricht zwar noch von Schwierigkeiten mit der “hundertprozentigen Steuerung“ der Migration, also im Klartext von Schwierigkeiten mit der totalen Einreisekontrolle und Überwachung. Aber: man arbeite daran.

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Mehr “Inhumanität” wagen? Ex-Bundespräsident Gauck will Asylrecht verschärfen

Nachfolgend ist ein Kommentar zur Verschärfung des Asylrechts und dem beabsichtigten Schleifen des Schutzes der Genfer Flüchtlingskonvention abgedruckt, der zuerst auf http://www.perspektive-online.net erschienen ist:

In einem Interview mit dem ZDF hat der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich die faktische Abschaffung des Asylrechts gefordert. Für viele kam dies überraschend, schließlich fußt seine gesamte politische Karriere auf seinem Ruf als ehemals führender „Bürgerrechtler” in der DDR. Tatsächlich zeigt er in dem Gespräch jedoch deutlicher als kaum jemand anderer die Verlogenheit der BRD, wenn es um Menschenrechte geht. – Ein Kommentar von Rudolf Routhier.

In der Flüchtlingspolitik will ein Spitzenpolitiker künftig „Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen”. Wer bei dieser düsteren Forderung jetzt an die Spitzen der AfD denkt, hat falsch geraten. Die Forderung nach „mehr Inhumanität wagen” kommt nicht aus dem Munde eines Gauland, eines Höcke oder einer Weidel, sondern von einem Musterschüler der „Demokratie”, von Altbundespräsident Joachim Gauck. Seiner Meinung nach sei es jetzt an der Zeit, „Undenkbares zu Denken”.

Konkret soll sich Deutschland dabei an Dänemark orientieren. Dort hat die sozialdemokratische Regierung das Asylrecht über die letzten Jahre faktisch abgeschafft. Seit 2021 wurden von unserem nördlichen Nachbarland, mit Ausnahme einiger ukrainischer Geflüchteter, keine Asylbewerber:innen mehr aufgenommen. Auch der Familiennachzug und die Einbürgerung wurden faktisch unmöglich gemacht: Abschiebungen selbst in Fällen politischer Verfolgung oder zurück in Kriegsgebiete sind weiterhin an der Tagesordnung.

Zudem wurden bereits 2015 in Stadtteilen Dänemarks mit mehr als 50 Prozent migrantischer Bevölkerung regelrechte Ghettos eingerichtet. Dort gilt eine eigene Gesetzgebung, selbst kleine Vergehen werden drakonisch bestraft, Sozialwohnungen werden regelmäßig abgerissen, Anwohner:innen vertrieben oder zum Umzug gezwungen. Danach können diese “Problemviertel” profitabel aufgewertet werden.

Gaucks Rechtfertigung für seine Forderung lautet ungefähr: Würden die „demokratischen Parteien” jetzt nicht die Festung Europa aufrüsten, würden rechte Parteien weiter an Wähler:innen-Stimmen gewinnen. Gar nicht so weit weg von dem Motto: “Wir müssen die Forderungen des Faschismus erfüllen, sonst gewinnt der Faschismus”. So seltsam diese Haltung zunächst wirken mag, so ähnelt sie doch einer der raffiniertesten Funktionen des Faschismus in der kapitalistischen “Demokratie”. Solcherlei Hetze bietet den perfekten Deckmantel, um nach Außen und Innen aufzurüsten – schließlich reagiere man doch nur auf  eine angeblich wahrgenommene Stimmung in der Bevölkerung.

Der Vorzeige-Oppositionelle 

Manche mag Gaucks menschenverachtende Polemik jetzt überraschen. Verbrachte Gauck doch große Teile seiner Karriere damit, durch die politische Landschaft der BRD zu geistern und jeder Person, die es hören oder auch nicht hören wollte, Floskeln über Freiheit, Menschenrechte und Demokratie um die Ohren zu hauen. Als Vorzeige-Oppositioneller der DDR habe er ja nachweislich bereits Erfahrung mit Diktatur und dem Entdecken “inhumaner Spielräume” z.B. bei der Grenzpolitik gemacht.

Diese Opposition wurde ihm schon von frühester Kindheit an beigebracht – jedoch nicht aus einer Liebe zur “Demokratie” heraus: Vater und Mutter waren beide NSDAP-Mitglieder, der Vater Offizier der Kriegsmarine. Nach dem Krieg kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, das verzieh die Familie Gauck der Sowjetunion nie.

In Gaucks eigenen Worten: “Das Schicksal unseres Vaters wurde zur Erziehungskeule. Die Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus. Das machen wir nicht, vermittelte uns die Mutter unmissverständlich. Ich hatte dieses Gebot so verinnerlicht, dass ich nicht einmal mehr durch die Freizeitangebote der FDJ in Versuchung geriet. Dafür lebte ich in dem moralisch komfortablen Bewusstsein: Wir sind die Anständigen. Intuitiv wehrte ich das Werben des Regimes für die Akzeptanz seiner moralischen und politischen Ziele ab, denn über uns hatte es Leid und Unrecht gebracht.“

“Bürgerrechtler der letzten Stunde”

Ein bizarres Weltbild, in dem “moralisch anständige” ehemalige NSDAP-Mitglieder in Kriegsgefangenschaft sind. Doch das war für das Nachkriegsdeutschland an und für sich nichts Ungewöhnliches. Für viele “ehemalige” Faschist:innen war der Tag der Befreiung ein Tag der Schande und der Niederlage. Joachim Gauck blieb seiner Erziehung ein Leben lang treu. Unter Anleitung seines Onkels, dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und SA-Führer Gerhard Schmitt, trieb es ihn in die kirchliche Opposition zur DDR.

Doch da blieb er bis zur Wende ein verhältnismäßig kleines Licht. Erst nach dem Fall der DDR wurde Gauck zur Symbolfigur der Opposition. Andere kritisierten dies: Er sei ein “Bürgerrechtler der letzten Stunde” gewesen und in der Oppositionsbewegung nicht groß aufgefallen. Doch er war das, was die BRD brauchte: kein Faschist, aber auch keiner der vielen linken Oppositionellen, die eine Beibehaltung der Sozialgesetzgebung der DDR oder gar ihre Eigenständigkeit wollten. Gauck war ein gesamtdeutscher Patriot, fest verankert auf dem Boden der Marktwirtschaft. Der Beginn einer jahrzehntelangen Karriere, die im Amt des Bundespräsidenten gipfelte.

Mauern sind für Gauck nicht gleich Mauern

Gaucks Interview könnte zu einem kaum besseren Zeitpunkt kommen – dürfen wir doch in wenigen Wochen am Tag der Deutschen Einheit wieder den ‘Endsieg’ “der Westdeutschen Demokratie” feiern. Wenn also kurz vorher das liebste Kind der DDR-Opposition wieder den Ausbau der ‘Festung Europa’ fordert, zeigt dies nur, dass es für die BRD im Kampf mit der DDR in Wahrheit wahrscheinlich nie um Menschenrechte, Mauern oder Todesstreifen ging.

Das Schicksal der DDR-Bürger:innen wurde Gauck vermutlich in dem Moment egal, als die “Treuhand” für die Profite westdeutscher Kapitalist:innen ihre Arbeitsplätze und Infrastruktur vernichtete. So ist für ihn nun vergleichsweise auch das Leben von Geflüchteten womöglich nur so viel wert wie der deutsche Kapitalismus ihnen zumisst bzw. zugesteht.

Selten zeigt sich dies deutlicher als jetzt vor den Toren der ‘Festung Europa’. Für alle, die wegen Krieg, Klimakrise, Unterdrückung oder Ausbeutung aus ihrer Heimat fliehen müssen, warten dort nicht etwa Freiheit, Menschenrechte und Milka-Schokolade, sondern nur die Gewalt der Frontex-Söldner. Darüber täuschen auch die Krokodilstränen um die Mauertoten nicht hinweg.

Quelle: http://www.perspektive-online.net/2023/09/mehr-inhumanitaet-wagen-ex-bundespraesident-gauck-will-asylrecht-verschaerfen/

CDU, FDP & AfD – Plötzlicher Einriss der Brandmauer oder systematische Öffnung nach Rechts?

Nachfolgend ist ein Kommentar zur Kooperation von CDU und FDP mit der faschistischen AfD in Thüringen abgedruckt, der zuerst auf http://www.perspektive-online.net erschienen ist:

In Thüringen haben die CDU gemeinsam mit FDP und AfD für eine Senkung der Grunderwerbsteuer gestimmt. Seit dem versucht die CDU sich als Demokraten darzustellen, die einfach alles für den kleinen Mann tun und die AfD feiert den Einriss der „Brandmauer“. Doch sind diese Parteien „ehrliche“ Steuersenker:innen, wie plötzlich kam die Zusammenarbeit wirklich und hat es die „Brandmauer“ zwischen Konservativen, Liberalen und Faschist:innen je gegeben? – Ein Kommentar von Tabea Karlo

Wer in den letzten Tagen ins Internet geschaut oder eine beliebige Tageszeitung gelesen hat, dem wird es begegnet sein die deutsche Schlagzeile des Tages: Zusammenarbeit von AfD und CDU in Thüringen. Gemeinsam haben CDU, FDP und AfD für die Senkung der Grunderwerbssteuer von 6,5 auf 5% gestimmt. 46 Abgeordnete stimmten für die Senkung der Steuern, 42 dagegen. Die Mehrheit ist knapp, aber sie ist da. Entstanden aus einer Kooperation von CDU, FDP und AfD.

Das Verteidigen und Feiern die Parteien auf unterschiedliche Weise. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt verteidigt die Entscheidung. Er zitiert dabei offen die Aussage des SPD-Kanzlers Scholz, der erst im August sagte: „Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt.“ Und eine durch die AfD erlangte Mehrheit sei „doch keine Zusammenarbeit“.

Die FDP blieb verdächtig lange still, eine Partei die sonst für ihre Präsenz auf der Social Media Plattform X (früher Twitter) bekannt ist, äußerte sich in den ersten Stunden kaum zu den Ereignissen. Schließlich setze die FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann ein Statement: „solange die FDP in Thüringen ‚den Kemmerich‘ macht“ gäbe es keinerlei Unterstützung von der Bundesebene. Sie fährt also die Taktik des schwarzen Schafes, der „Einzelfall“-Zusammenarbeit. Lindner unterscheidet sich geringfügig, er schiebt die Verantwortung zur CDU. Schließlich sei es ihr Antrag gewesen.

Die AfD selbst geht mit den Ergebnisse natürlich anders um, sie feiern ganz offen einen Sieg. Alice Weidel, die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, verkündet das Zusammenbrechen der sogenannten „Brandmauer“. Thüringen, so sagt sie sei erst der Anfang.

Doch was steckt wirklich hinter den Reaktionen der Parteien, ist gemeinsam Abzustimmen jetzt Zusammenarbeit oder nicht? Wie plötzlich kommt dieser Schritt und wie sollen wir das neue Grunderwerbssteuergesetz einordnen?

Zusammenarbeit mit der AfD – Sollten wir wirklich überrascht sein?

Völlig egal, was Alice Weidel propagieren mag; Thüringen ist nicht der Anfang. Thüringen stellt einen gewissen Meilenstein da. Doch die „Brandmauer“ von der alle sprechen, ist vor allem ein „Stilmittel“.

Die AfD nutzt es um sich als „Systemrebellen“ aufzuspielen, die sich die Anerkennung anderer Parteien erst „erkämpfen“ mussten. Die bürgerliche Partei greifen es auf um sich künstlich von der Zusammenarbeit mit einer faschistischen Partei zu distanzieren, zumindest so lange es in der Bevölkerung dafür noch keine grundsätzliche Zustimmung gibt. Man könnte an dieser Stelle lange darüber streiten wann die Öffnung nach rechts begonnen hat, ob sich nicht Teile der Interessen “schon immer“ überschnitten haben. Das allerdings diese Öffnung statt findet, sie Parteiübergreifend, kein Zufall und kein Einzelfall ist möchte ich an einer kleinen Chronik von Vorfällen der letzten Jahre nachzeichnen.

Bereits 2016 rückte die CDU mit ihren Gesetzesentwürfen nach rechts, gab an ihr „konservatives“ Profil wieder schärfen zu wollen. So sollte der sogenannte Doppelpass gekippt werden, dieser regelt dass in Deutschland geborene Kinder von Zuwander:innen neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch dauerhaft die ihrer Eltern haben dürfen. Im Zuge dessen äußerte der damalige CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: „Der deutsche Pass ist kein Ramsch­artikel, den man eben so mal mitnimmt.“ Weitere Gesetzesentwürfe und Vorschläge folgten, so schlugen sie vor die Ausreisegewahrsam auszuweiten, trieben das „Burka-Verbot“ in Schulen voran und setzen sich für die Stärkung der deutschen Leitkultur ein.

Diese Schritte waren allein 2016, seit dem wurde immer weiter und offenere nach rechts gerückt, nicht nur von der CDU. Im Frühjahr 2020 wurde das erste Mal ein Ministerpräsident mit Stimmen der AfD gewählt. Der Thüringer FDP-Chef Kemmerich bleibt keinen Monat im Amt bevor er zurück tritt. Kemmerich selbst ist kein unbeschriebenes Blatt, er ließ sich 2020 nicht nur von der AfD wählen, sondern trat auch in Gera als Redner auf einer Demonstration gegen die Corona-Regelungen auf. Hier musste für die Öffnung nach rechts noch jemand seinen Posten verlassen, danach sehen wir aber keine „Brandmauer“ wie behauptet wird, sondern im Gegenteil es zeichnet sich eine Systematik ab.

Auch CDU-Politiker Maaßen und ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ging Jahre lang öffentlich Schritte nach rechts. Erst auf den letzten Metern, als offen bekannt wurde dass er über seine Arbeit im Verfassungsschutz bereits mit der AfD zusammenarbeitete leitete die CDU ein Ausschlussverfahren ein. Im Mai diesen Jahres verschärfte dann die bürgerliche Regierung aus SPD, Grüne und FDP massiv das Asylgesetz auf dem sogenannten „Flüchtligsgipfel“.

Friedrich Merz führte derweil bereits um das Jahr 2000 den Begriff der „Deutschen Leitkultur“ in die politische Debatte ein. Während er sich als rechtsaußen Player der CDU immer wieder stark von der AfD abgrenzte geht er spätestens seit diesem Jahr ganz offene Schritte nach rechts. Bezeichnet die CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ und sagt auf kommunaler Ebene müsse man „gemeinsam gestalten“. Der SPD-Kanzler Scholz geht mit seiner Aussage mit der AfD gemeinsam zu einer Mehrheit zu kommen sei doch „keine Zusammenarbeit“ noch einen Schritt weiter und normalisiert diese vollkommen. Damit öffnete der Kooperation mit der faschistischen Partei gänzlich Tür und Tor.

Was wir hier sehen sind keine Fehltritte, es ist eine systematisch Öffnung nach rechts. Es ist die Vorbereitung einer Zusammenarbeit auf Bundesebene.

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Faschistische AfD erhält die meisten Großspenden

Nachfolgend wird ein Artikel über Großspenden an deutsche Parlamentsparteien abgedruckt, der zuerst auf http://www.perspektive-online.net erschienen ist:

Im ersten Halbjahr 2023 hat die AfD unter allen Parteien die meisten Großspenden erhalten. Schon lange finanzieren diverse Großkapitalisten die faschistische Politik.

Während 2022 für alle Parteien weniger Geld floss, gab es dieses Jahr wieder mehr. Als “Großspende” werden Spenden ab 50.000 Euro gewertet. Ab dann müssen sie von der jeweiligen Partei öffentlich gemacht werden, was für Kritiker:innen von “Transparency International” eine zu hohe Schwelle ist.

Mit einer Spende von 265.000 Euro hat die AfD dieses Halbjahr rund 50.000 Euro mehr als die CDU erhalten, die zuvor Spitzenreiterin war. Die Großspende stammt von dem Bauingenieur Hartmut Issmer aus Weimar. Er ist für seine reaktionären und antisemitischen Ansichten bekannt, wonach jüdische Bankiers Weltherrschaftspläne hätten.

Die CSU erhielt im Juli eine Spende über 83.000 Euro von Daniela Porsche aus Salzburg, die mit dem Urenkel von Großkapitalist Ferdinand Porsche die Gesellschafterin einer Pferde-Reha ist. Die CDU erhielt auch von der Quandt-Familie Spenden – Stefan Quandt ist Großaktionär der BMW AG. Im Hitler-Faschismus hatten die Quandts die NSDAP mitfinanziert und von Zwangsarbeitern in ihren Werken profitiert.

Gleichermaßen bedacht wurden CDU, FDP, SPD und Grüne 2023 durch Spenden des Lobbyverbands “Christ&Company“. Der Gründer und Unternehmer Harald Christ war in vielen Aufsichtsräten und lange SPD-Mitglied, bis er zur FDP wechselte, für die er von 2020 bis 2022 Bundesschatzmeister war.

Lange Historie von Parteifinanzierung durch Großkapital

Parteispenden an die AfD haben in der Vergangenheit schon häufiger zu Kontroversen und gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt. Im März musste die Partei z.B. eine Strafe zahlen, weil der Kreisverband von Alice Weidel anonyme Spenden von zwei schweizerischen Unternehmen angenommen hatte. Die AfD hatte argumentiert, dass es sich um Privatspenden an Alice Weidel persönlich handle und nicht an die Partei.

Die AfD kann eine längere Geschichte von Finanzierung durch reiche Privatpersonen und Großunternehmerfamilien vorweisen: So hatte sie 2018 mit ca. 7 Millionen Euro den größten Nachlass an eine Partei in Deutschland erhalten. Wegen psychischer Probleme des Erfinders Reiner Strangfeld und möglicher Testierunfähigkeit könnte der Nachlass aber ungültig sein. Zudem erhielten die AfD und ihr nahestehende Institutionen jahrelang häufig verdeckte finanzielle Unterstützung durch den 2021 verstorbenen Milliardär August von Finck, der unter anderem Anteile an der Hotel-Kette Mövenpick hielt.

Quelle: http://www.perspektive-online.net/2023/09/faschistische-afd-bleibt-nr-1-in-sachen-parteigrossspenden/

Die AfD will im Bund regieren – mit Politik für die Reichen

Nachfolgend ist ein Kommentar abgedruckt, der zuerst auf http://www.perspektive-online.net erschienen ist:

Mit steigenden Umfragewerten will die AfD ihren Höhenflug ausbauen. Deshalb hat sie nun vorgestellt, welche Positionen sie als Regierungspartei zu aktuellen Streitfragen einnehmen würde. Ihr Papier macht deutlich, in wessen Interesse die AfD Politik macht: Die Unternehmen sollen profitieren, während Arbeiter:innen, Frauen und Geflüchtete stärker ausgebeutet werden. – Ein Kommentar von Gillian Norman.

Während ihrer Klausurtagung in Thüringen veröffentlichte die Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) am 1. September ein „Sofortprogramm einer AfD-geführten Bundesregierung“. In 10 Punkten listet die Partei auf, welche Änderungen sie an der aktuellen Regierungspolitik vornehmen würde.

In den letzten Monaten konnte die faschistische Partei, die in einigen Bundesländern bereits stärkste Oppositionskraft im Landtag ist, starke Gewinne in den Umfragen erzielen. Laut der Umfrage von INSA für die Bild am Sonntag vom 2. September kommt die Ampelregierung zusammen derzeit nur noch auf 38 Prozent, die AfD dagegen allein auf ganze 21 Prozent und steht damit auch bundesweit hinter der CDU als zweitstärkste Kraft.

Als Oppositionspartei wettert die AfD täglich gegen die Politik der Grünen, SPD und FDP, die Deutschland “deindustrialisieren“ und mit Absicht „gegen die Wand“ fahren würden. Aber welche Vorschläge hat die AfD, um die Preisexplosionen und die imperialistischen Kriegsvorbereitungen zu stoppen?

Wirtschaftspolitik für Unternehmen – nicht für Arbeiter:innen

Ökonomisch will sie deutsche Konzerne, insbesondere die Kapitalisten der “alten Industrie” unterstützen, indem laut ihrem Sofortprogramm die „CO2-Steuer“ abgeschafft und andere Energiesteuern gestrichen werden sollen. Damit sollen deutsche Konzerne im Konkurrenzkampf besser dastehen.

Auch wenn die AfD diese Steuern streichen will, um Unternehmen zu entlasten, könnte die Abschaffung der CO2-Steuer unter Umständen auch erst einmal Arbeiter:innen entlasten – natürlich vorausgesetzt, die Unternehmen gäben ihre Einsparungen weiter. Dazu zwingen will die AfD sie aber nicht.

Daneben will die AfD das Lieferkettengesetz und Verbrenner-Verbot abschaffen. Beide Gesetze sind allerdings auf EU-Ebene beschlossen und wären somit gar nicht als „Sofortprogramm“ umsetzbar, sondern müssten gemeinsam mit den europäischen Bündnispartner:innen umgesetzt werden.

Um die Energieversorgung sicherzustellen, soll zudem die “Nordstream”-Pipeline repariert und im Zuge der Abschaffung der Sanktionen gegen Russland wieder in Betrieb genommen werden. Die AfD steht somit politisch für den “Plan B” des deutschen Kapitals, sich tendenziell Russland anzunähern um damit Deutschland aus der Rolle des Juniorpartners der USA heraus zu manövrieren. Dieses Ziel verfolgt auch die aktuelle Regierung, jedoch mit einer anderen Agitation.

In der Energiepolitik will die AfD noch an einer anderen Stelle die alte Politik fortführen: Die kürzlich abgeschalteten Atomkraftwerke sollen sofort wieder angeschaltet werden und neue gebaut werden. Doch auch für Atomkraftwerke benötigt es viele Rohstoffe, vor allem den radioaktiven Brennstoff Uran. Auch das Nachbarland Frankreich setzt in seiner Energiepolitik zu einem großen Teil auf Atomkraftwerke, aber sieht sich derzeit – speziell nach dem Militärputsch in Niger – in Bedrängnis, da ein Großteil des Urans dort abgebaut und nach Frankreih exportiert wird. In einer sich zuspitzenden Weltlage stellt also auch die Kernenergie keine “sichere” Energiequelle dar.

Daher setzen die großen Unternehmen in Deutschland zurzeit auch auf die „grüne“ Regierung, die mithilfe des „Klima- und Transformationsfonds“ – übrigens auf Kosten der Arbeiter:innen – den Umbau auf erneuerbare Energien vorantreibt, um die fossile Abhängigkeit von anderen Ländern zu begrenzen. Allerdings gibt es auch in deren Reihen starke Konkurrenz. sodass die Idee der AfD, „für Technologieoffenheit zu sorgen und Subventionen nicht-fossiler Technologien sowie Verbote fossiler Technologien abzuschaffen“, sicherlich besonders bei Konzernen wie RWE auf offene Ohren stößt.

Wie der AfD-Fraktionsvorsitzende Chrupalla in der Pressekonferenz zur Vorstellung des Papiers ganz offen sagt, sind es zuvorderst die „mittelständischen Unternehmer, Bauunternehmer und Handwerker“, die die AfD mit ihrer Politik ansprechen und unterstützen will. Denn diese hätten ja mittlerweile erfahren, dass „die FDP als alte Mittelstands- und Industriepartei nicht mehr in der Lage ist, die Interessen dieser Klientel abzudecken”.

Politik für die „einfachen Leute“ macht die AfD also erklärtermaßen nicht, denn die Profite deutscher Unternehmen führen – entgegen der bürgerlichen Ideologie der sogenannten „Trickle-Down-Economics“ – nicht zu einem höheren Lebensstandard von uns Arbeiter:innen. das konnten wir in den letzten Jahren eindrucksvoll und schmerzlich spüren, als Unternehmen Rekordgewinne machten und die Preise für Essen, Kleidung und Miete in die Höhe schossen.

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Auswirkungen von Krieg, Energie- und Klimakrise auf die Landwirtschaft

Eine nicht autorisierte Übersetzung aus der türkischen Zeitschrift „Marksist Teori“ http://www.marksistteori5.org

Auswirkungen von Krieg, Energie- und Klimakrise auf die Landwirtschaft


von İBRAHİM OKÇUOĞLU, Marksist Teori AUSGABE 55 / Januar-Februar 2023


Einige Punkte, die bei der Bewältigung des Problems der Agrarkrise zu berücksichtigen sind

Die Landwirtschaft ist von Natur aus komplexer als die Industrie:

1) Die industrielle Produktion ist ausschließlich für den Markt bestimmt. In der Landwirtschaft ist die Produktion nicht immer und unter allen Umständen für den Markt bestimmt.

2) Die Produktion in der Industrie ist unter normalen Bedingungen ununterbrochen. Mit anderen Worten: Der Fluss des Produkts zum Markt wird unter normalen Umständen nicht unterbrochen.
In der Landwirtschaft ist die Situation anders. Die klimatischen Bedingungen bestimmen den Zyklus der landwirtschaftlichen Produktion. So wird in den meisten Ländern der Zyklus der landwirtschaftlichen Produktion einmal im Jahr abgeschlossen, während in Ländern mit günstigen klimatischen Bedingungen (tropische Regionen) mehrmals im Jahr geerntet werden kann; mit anderen Worten: der Produktionszyklus in der Landwirtschaft findet mehrmals im Jahr statt.

3) In der Industrie sind die Klima-/Wetterbedingungen nicht von entscheidender Bedeutung. Wenn der Kapitalist glaubt, dass es profitabel ist, kann er Fabriken sogar an den Polen bauen.
In der Landwirtschaft hingegen sind die klimatischen Bedingungen ganz entscheidend (außer in der Treibhauswirtschaft). Die erste entscheidende Bedingung für die Entscheidung, wo und welche landwirtschaftlichen Kulturen angebaut werden sollen, ist, ob das Klima günstig ist oder nicht.

4) In der Industrie gibt es keine absolute Pacht und keine Differenzpacht, in der Landwirtschaft schon. Diese Pachten sind in der Regel mit langfristigen Pachtverträgen verbunden und schlagen sich im Bodenpreis nieder.

5) In der Industrie sind die sozialen Beziehungen auf die eine oder andere Weise homogen; Kapitalisten und Arbeiter stehen sich gegenüber. In der Landwirtschaft hingegen ist die Situation recht komplex. Diese komplexe Situation variiert je nach der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft. In Ländern, in denen der Kapitalismus in der Landwirtschaft unterentwickelt ist, existieren zum Beispiel feudale Unternehmen, kapitalistische Unternehmen und eine große Zahl von Kleinunternehmen nebeneinander. In Ländern mit entwickeltem Kapitalismus hingegen wird die Landwirtschaft von großen Unternehmen/landwirtschaftlichen Monopolen beherrscht.

6) Wie die Industriekrisen sind auch die Agrarkrisen auf den kapitalistischen Charakter der Produktion zurückzuführen. In der Landwirtschaft wie in der Industrie geht es in erster Linie um die Produktion für den Profit, für den maximalen Profit, und je mehr der Kapitalismus in die Landwirtschaft eingedrungen ist, desto deutlicher/offensichtlicher treten Überproduktionskrisen auf.

7) Die Agrarkrisen legen alle Widersprüche offen, die sich aus dem Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft ergeben, und je mehr sich der Kapitalismus in der Landwirtschaft entwickelt, desto mehr werden diese Widersprüche in einer Krise offengelegt. Mit anderen Worten: Die kapitalistische Landwirtschaft ist den gleichen grundlegenden Widersprüchen unterworfen wie die Industrie: Konkurrenz, Monopolisierung, Konzentration, Konkurs der Kleinerzeuger, usw.

8) In der Landwirtschaft wie in der Industrie bildet der Grundwiderspruch des Kapitalismus – der gesellschaftliche Charakter der Produktion und ihre Aneignung auf der Grundlage des Privateigentums – die Grundlage der Krisen.

9) Im Gegensatz zu den Industriekrisen haben die Agrarkrisen keinen Zyklus oder eine bestimmte periodische Bewegung. Im Gegensatz zu den Industriekrisen dauern die Agrarkrisen über einen langen Zeitraum an. Beide Krisen beeinflussen sich gegenseitig. Agrarkrisen können sich nur auf den industriellen Zyklus auswirken (z. B. Rückgang der Nachfrage nach Landmaschinen, Kunstdünger, Mangel an landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die als Rohstoffe in der Industrie verwendet werden, usw.) und können die industrielle Krise aus denselben Gründen verschärfen. Darüber hinaus können Agrarkrisen partielle Krisen in einigen Industriesektoren und Industriekrisen partielle Krisen in einigen Agrarsektoren verursachen. So kann zum Beispiel eine Industriekrise (Überproduktionskrise) eine Krise in einigen landwirtschaftlichen Sektoren (Baumwolle, Wolle, Flachs usw.) verursachen; in Sektoren, die Rohstoffe für die Industrie produzieren. In ähnlicher Weise kann eine Krise in der Landwirtschaft zu partiellen Krisen in den Industriezweigen führen, die landwirtschaftliche Geräte und Kunstdünger herstellen. Bislang haben jedoch weder Agrarkrisen Industriekrisen noch Industriekrisen Agrarkrisen verursacht. Mit anderen Worten: Die Industriekrise ist nicht die Ursache für die Agrarkrise.
10) Die Agrarkrise, die unabhängig vom Zyklus der Industriekrise ausbricht, endet auch unabhängig vom Zyklus der Industriekrise.

11) Im 19. Jahrhundert war die Agrarkrise die Folge der Überproduktion durch die Ausweitung der Anbauflächen. Mit anderen Worten: Die Ursache dieser Agrarkrise war die Ausdehnung der Anbauflächen. Im 20. Jahrhundert wurde die Agrarkrise durch die Intensivierung der Landwirtschaft (in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern basierte sie vollständig auf der mechanisierten Landwirtschaft) und durch die Steigerung der Produktivität verursacht. Im 21. Jahrhundert sind die Entwicklung der Landwirtschaft und die Agrarkrise eine Manifestation der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Diese Krise ist nicht periodisch, sie ist ein chronisches und kontinuierliches Phänomen. (1)

12) Die Agrarkrise kann nur dann ausbrechen, wenn sie die Gesamtheit der in der Landwirtschaft dominierenden Unternehmen, d.h. die Großunternehmen, die Agrarmonopole, betrifft. Eine solche Situation kann durch die Politik der Bevorzugung der imperialistischen Staaten, der EU in Europa, ständig verhindert werden.

Aber diesmal geht es darum: Seit der Pandemie anlässlich des Russland-Ukraine-Krieges intensiver diskutiert werden Agrarkrise-Ernährungskrise-Energiekrise-Überproduktionskrise-Strukturkrise-Klima/Umweltkrise-Russland-Ukraine-Krieg-Wirtschaft, das sind Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen und auslösen, die als Probleme, die sich aus der Epidemie ergeben, ständig auf der Tagesordnung stehen. Versuchen wir, die Frage „Welcher dieser Prozesse ist der entscheidendere?“ zu beantworten, indem wir die Entwicklungen im Bereich der Landwirtschaft betrachten.

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