Berlin und der „ukrainische Holocaust“

Nachfolgend spiegle ich einen Beitrag mit dem Titel Berlin und der „ukrainische Holocaust“, der zuerst auf http://www.german-foreign-policy.com erschienen ist:

Bundestag will die Hungersnot in der Ukraine 1932/33 zum Genozid erklären und übernimmt damit politisch motivierte Positionen aus dem Milieu der ukrainischen Ex-NS-Kollaboration.

28. November 2022

BERLIN/KIEW (Eigener Bericht) – Der Deutsche Bundestag will die Hungersnot in der Ukraine während der Jahre 1932 und 1933 zum Genozid erklären und übernimmt damit eine politisch motivierte Einstufung aus dem Milieu der ukrainischen Ex-NS-Kollaboration. Dies geht aus Untersuchungen von Historikern hervor. Demnach ist die Behauptung, bei der Hungersnot handle es sich um einen willentlich herbeigeführten „ukrainischen Holocaust“, im ukrainischen Exil in Kanada entstanden, in dem einstige NS-Kollaborateure den Ton angaben. Ende der 1980er Jahre wurde die Behauptung in dem neu geschaffenen Wort „Holodomor“ gebündelt. Historiker weisen sie in der überwiegenden Mehrheit zurück, nicht zuletzt, weil die Hungersnot die Bevölkerung in agrarischen Regionen in der gesamten Sowjetunion traf. Der Bundestag will seine Resolution zum „Holodomor“ schon an diesem Mittwoch verabschieden. Dies droht auch gravierende innenpolitische Folgen hervorzurufen: Am Freitag hat der Bundesrat die jüngste Verschärfung des §130 StGB abgenickt, nach der „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen“ von Kriegsverbrechen sowie darüber hinaus von Völkermord unter Strafe gestellt wird.

Die Hungersnot

Gegenstand der Bundestagsinitiative ist die verheerende Hungersnot, die die Sowjetunion in den Jahren 1932 und 1933 erfasste. Sie hatte verschiedene Ursachen. Im Jahr 1931 hatten erst eine Dürre, dann weitere widrige Wetterbedingungen die Ernte ernsthaft geschädigt. Dies geschah, als die 1929 eingeleitete Kollektivierung der Landwirtschaft zu Spannungen führte und zugleich so viel Getreide zur Versorgung der Industriearbeiter wie zur Sicherung des Exports zwangsweise aus den Anbaugebieten abtransportiert wurde, dass dort gravierender Mangel auftrat. Dies war in allen wichtigen Getreideanbaugebieten der Sowjetunion der Fall – neben dem bedeutendsten Anbaugebiet, der Ukraine, etwa auch in Teilen Russlands oder in Kasachstan. Die Hungersnot forderte in der Sowjetunion insgesamt mutmaßlich zwischen sechs und sieben Millionen Todesopfer, davon wohl rund 3,5 Millionen im größten Getreideanbaugebiet – der Ukraine –, weitere 1,5 Millionen in Kasachstan; es kamen zahllose Opfer in Russland und anderen Gebieten der Sowjetunion hinzu. Gemessen an der Größe der Bevölkerung hatte während der gesamten Hungersnot nicht die Ukraine, sondern vielmehr Kasachstan die höchste Zahl an Todesopfern zu beklagen. Fachhistoriker beurteilen die Verantwortung der sowjetischen Regierung unterschiedlich; von einem gezielten Genozid geht jedoch nur eine kleine, in der Regel weit rechts stehende Minderheit aus.

Im Milieu ehemaliger NS-Kollaborateure

Erstmals in einer breiteren Öffentlichkeit zum Thema und zugleich zum Mittel politischer Propaganda gemacht worden ist die Hungersnot in der Ukraine Anfang der 1980er Jahre, und zwar in der ukrainischen Exilcommunity in Kanada, in der ukrainische NS-Kollaborateure klar den Ton angaben. Hintergrund war, wie der Historiker Per Anders Rudling von der Universität Lund es bereits vor Jahren beschrieben hat [1], die Debatte über die Shoah, die nach der Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust im Jahr 1978 erstarkte. In diesem Kontext fürchteten ukrainische NS-Kollaborateure in Kanada, ins Visier von Öffentlichkeit und Ermittlungsbehörden zu geraten, und gingen zu einer Art Gegenoffensive über, indem sie – so schildert es Rudling – die Hungersnot von 1932/33 zu einem angeblich gezielten Massenmord, zum Genozid erklärten. Dabei seien Trennlinien zwischen Polit-Aktivismus und Wissenschaft verschwommen: So habe in den 1980er Jahren zum Beispiel ein Veteran der Waffen-SS-Division Galizien deren lokalen Traditionsverband im kanadischen Edmonton angeführt, dem Vorstand des Canadian Institute of Ukrainian Studies angehört und als Kanzler der University of Alberta gewirkt.[2] Zunächst sei vom „Hungersnot-Holocaust“ oder vom „ukrainischen Holocaust“ die Rede gewesen; Ende der 1980er Jahre sei dann der Begriff „Holodomor“ aufgekommen.

Das Geschichtsbild des Exils

Rudling beschreibt zudem, wie nach dem Zerfall der Sowjetunion die Geschichtsschreibung des ukrainischen Exils in der Ukraine dominant wurde. Zwar sei es dem ukrainischen Exil – anders als demjenigen der baltischen Staaten – nicht gelungen, staatliche Spitzenpositionen in der Ukraine zu erobern, stellt Rudling fest. Doch hätten ukrainische Exilhistoriker es binnen kürzester Zeit vermocht, die alte sowjetische Geschichtsschreibung zu verdrängen. Damit sei das im Exil dominante, stark von NS-Kollaborateuren geprägte Weltbild, dem zufolge die NS-Kollaborateure der OUN wie auch der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) als heldenhafte „Freiheitskämpfer“ einzustufen seien und die Hungersnot von 1932/33 als „Genozid“ zu gelten habe, in die Geschichtsschreibung in der Ukraine selbst übergegangen. Staatliche Weihen habe sie unter Präsident Wiktor Juschtschenko erhalten, schreibt Rudling.[3] Juschtschenko, in der „Orangenen Revolution“ des Jahres 2004 mit massiver Unterstützung des Westens an die Macht gelangt, erklärte nicht nur OUN-Führer Stepan Bandera im Jahr 2010 posthum zum „Helden der Ukraine“; während seiner Amtszeit stufte außerdem das Parlament die Hungersnot offiziell als „Genozid“ (2006) ein. Es widersprach damit der weit überwiegenden Mehrheit der Historiker außerhalb der Ukraine.

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An einen Bonzen

Obwohl es nun schon fast einhundert Jahre sind, seit Kurt Tucholsky diese Zeilen an einen sozialdemokratischen Bonzen geschrieben hat, ist es schon verwunderlich, warum die Masche des Sozialdemokratismus immer noch zieht. Die Liste der Verbrechen dieses Sozialdemokratismus zeigt die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung seitdem klar auf. Die jüngste Bestätigung ist z.B. der aktuelle Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie der IG Metall. Die Kapitalseite hat dies jedoch schon klar erkannt und der Verbandsvertreter der Metallkapitalisten schätzte realistisch ein: „Wir haben die Forderung der IG Metall halbiert“ und dies trotz guter Mobilisierung der IG Metall-Kolleginnen und Kollegen bei den Warnstreiks und Aktionen zur Tarifrunde …

Das Parlament der Historiker

Am Mittwoch soll der Bundestag beschließen: Die Hungersnot 1932/33 in der Sowjetunion war ein Völkermord an der Ukraine

Mit der Gesetzesvorlage soll die Geschichte umgeschrieben werden. Nach den Maßgaben der Propaganda des deutschen Faschismus, wonach die Hungersnot in der Sowjetunion von 1932 bis 1933 ein gezielter Vernichtungsversuch der sowjetischen Führung gegen die Ukraine gewesen sei. – Der „Holodomor“. Dem stehen zwar die Tatsachen entgegen, aber die mit Nazideutschland kollaborierenden ukrainischen Nationalisten und Faschisten übernahmen die Erzählung. Seit 1991 sie Gründungsmythos der wieder kapitalistischen Ukraine. (junge Welt 26./27.11.2022, S. 3). Eine gute Einordnung dieser geplanten Gesetzesverschärfungen gibt der folgende Kommentar: http://www.perspektive-online.net/2022/11/ruecken-verteidiger-der-sowjetunion-mehr-in-den-fokus-der-repression/

Zu ganz anderen Ergebnissen kommt das Buch des belgischen Kommunisten Ludo Martens „Stalin – anders berachtet“ (Epo-Verlag, Berchem, 1998) in seinem Kapitel V. Die Kollektivierung und der „ukrainische Holocaust“ (S. 115-134, in der unten stehenden PDF-Datei auf den Seiten 85-98). Aber das gesamte Buch von Ludo Martens ist lesenswert, da „Stalin anders betrachtet analysiert eine Serie von „Medienlügen“: Den Hungerholocaust in der Ukraine, die 12 Millionen Toten des Gulags. Das Buch widerlegt die klassischen Angriffe gegen Stalin: Das Testament Lenins, die von einer totalitären Partei auferlegte Kollektivierung, die erzwungene Industrialisierung, die Liquidierung der alten bolschewistischen Garde, den blinden und absurden Terror der Säuberungen, das gemeinsame Sache machen von Stalin und Hitler, und so weiter.

Das Kapitel über die Kollektivierung gibt eine genaue Schilderung der Bauern, die aus ihren mittelalterlichen Lebensumständen heraus, einen komplexen Kampf lang, eine moderne Gesellschaft aufbauten.“

Zum Kommunismus-Kongress der Kommunistischen Organisation

Im September 2022 fand der „Kommunismus-Kongress“ der Kommunistischen Organisation (KO) in Berlin statt, auf dem kontrovers die Themen Imperialismus und Krieg diskutiert wurden. Entzündet hat sich diese Debatte um den Einmarsch der Armee der Russischen Föderation in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022. Also ging es aus Sicht der Veranstalter, im Wesentlichen der KO, darum: „Führt Russland einen Angriffskrieg, oder ist es eine Verteidigungsmaßnahme – schließt sich das aus? Ist es ein imperialistischer Krieg von allen Seiten und was bedeutet dies? Oder ist es ein notwendiger und überfälliger Schritt zur Eindämmung der NATO-Aggression?

Hierzu hatte die Zeitschrift „Trotz alledem!“ (TA) http://www.trotzalledem.org ein vierseitiges Papier „Thesen zum Kongress der KO“ erstellt, in dem TA seine Kernthesen zum Krieg in der Ukraine formuliert. Diese Stellungnahme halte ich für so wichtig, obwohl ich in einigen nachgeordneten Punkten eine andere Einschätzung habe, dass die Thesen von TA (erschienen in der Nr. 90 der Zeitschrift TA, S. 24-26) nachfolgend abgedruckt werden. Zumal die Veranstalter des „Kommunismus-Kongress“ diese Thesen und deren Verteilung am Veranstaltungsort, dem Berliner ND-Haus, mit bürokratischen Vorwänden untersagt haben. Dies wirft ein klares Licht auf den Standpunkt der KO, die schon in der Vorbereitung des Kongresses in einer Kongress-Zeitung die Thesen und Standpunkte revisionistischer Parteien, wie der KKE, KPRF, RKAP und der TKP groß unters Volk gebracht haben.

Thesen zum „Kommunismus Kongress“

der Kommunistischen Organisation (KO)

Mit welcher Imperialismus-Analyse können Revo­lutionär:innen und Kommunist:innen die Situation heute verstehen und den Klassenkampf entfalten? Nur mit der leninistischen Imperialismus-Analyse können wir auch heute die Welt verstehen und verändern.

Das ist die marxistisch-leninistische Grundlage unserer Analyse sowie unserer Strategie und Taktik – solange der Imperialismus existiert. Das ist unser Ausgangspunkt.

1. Der in der Ukraine laufende Krieg ist ein Teil des Kampfes der imperialistischen Großmächte mit ihren Verbündeten um die Neuaufteilung der Welt. Dieser Kampf um die Neuaufteilung der Welt ist auf Tagesordnung gekommen durch die grund­legenden Veränderungen in dem Kräfteverhältnis der imperialistischen Welt.

Dieser Kampf tobt seit Anfang der 2000er Jahre verstärkt mit dem Mittel der „friedlichen ökonomischen Durchdringung“ und in Form von Stellvertreterkriegen auf dem ganzen Erdball. Bei der friedlichen ökonomischen Durchdringung hat sich besonders die imperialistische Großmacht China mit ihrem Projekt „Neue Seidenstraße“ hervorgetan.

Stellvertreterkriege wüten in den letzten Jahren in Mali, Jemen, Sudan, Somalia, Liberia, Eritrea, Myanmar, Sri Lanka, Afghanistan, Syrien, Irak, Iran, Armenien, Aserbaidschan, Kurdistan, Venezuela, Kolumbien …

Die Zuspitzung der zwischenimperialistischen Widersprüche wird die ganze imperialistische Welt in einen dritten Weltkrieg stürzen, in dem die imperialistischen Großmächte direkt gegeneinander Krieg führen werden. Die Logik und die Funktionsweise des Imperialismus machen einen neuen Weltkrieg unausweichlich.

Dieser 3. Weltkrieg, der in seiner Vernichtungsgewalt viel verheerendere Zerstörungen und Verwüstungen an Menschheit und Natur verursachen wird, kann nur durch Revolutionen unter Führung des Proletariats verhindert werden. Oder aber dieser Krieg kann wenigstens durch eine weltweite, umfassende, internationale Friedensbewegung verhindert oder zumindest verschoben werden.

2. In dem Kriegsgeschehen in der Ukraine stehen sich auf dem Schlachtfeld faktisch zwei imperialistische Machtblöcke gegenüber.

Der „westliche“ imperialistische Block unter Führung der USA gemeinsam mit den imperialistischen Großmächten der EU, Deutschland, Frankreich, Italien sowie des Vereinigten Königreichs (England) auf der einen; der Block der imperialistischen Großmächte Russland und China auf der anderen Seite.

Die Tatsache, dass sich auf dem Kriegsschauplatz „nur“ russische und ukrainische Truppen mit den jeweiligen „freiwilligen“ Söldnern als Hilfstruppen direkt bekriegen, bedeutet nicht, dass nur diese beiden Kriegsparteien sind, dass dieser Krieg nur ein russisch-ukrainischer Krieg ist.

Nein, das ist ein Krieg der westlichen imperialistischen Großmächte gegen die imperialistischen Großmächte „im Osten“, die immer massiver das Weltgeschehen mitbestimmen wollen.

Die westlichen Großmächte sind mit ihrer uferlosen Finanz- und Militärhilfe für die Ukraine direkte Kriegspartei, auch wenn sie auf dem Schlachtfeld bisher noch nicht mit ihren eigenen Armeen interveniert sind. Aber Militärberater:innen des Westens sind bereitszum Beispiel in Polen zur Ausbildung ukrainischer Soldat:innen, an den Waffen, die der Westen in großen Mengen liefert.

Auf der anderen Seite steht Russland als imperialistische Großmacht mit seiner Armee direkt auf dem Schlachtfeld, während China als unterstützende Macht sich militärisch erstmal noch zurückhält. Aber ohne die politische und ökonomische Unterstützung Chinas würde dieser Krieg nicht in dieser Form laufen.

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100 Jahre Arbeiter-Illustrierte-Zeitung AIZ

Nachfolgend wird ein Beitrag zum 100. Geburtstag der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) etwas verspätet abgedruckt, der zuerst in der Zeitschrift „Trotz alledem!“ Nr. 89 unter http://www.trotzalledem.org/2022/03/14/100-jahre-arbeiter-illustrierte-zeitung/ erschienen ist:

Zeitschrift für ArbeiterInnen und Werktätige –
Zeitschrift von Arbeiter:innen-Korrespondent:innen und Bildreporter:innen

Der Aufruf zur internationalen Solidarität von Lenin angesichts der großen Dürrekatastrophe im Sowjetland August 1921 war die „Geburtsstunde“ der AIZ, unter ihrem damaligen Namen „Sowjet-Rußland im Bild“.

Vor 100 Jahren, erschien die erste Ausgabe dieser „proletarischen Illustrierten“. Zunächst als Zeitung der IHA (Internationale Arbeiterhilfe) im kleinen Format. Mit eindrucksvollen Bildreportagen wurde das wirkliche Leben im Roten Russland dokumentiert und den Arbeiter:innen in Deutschland näher gebracht. Zentrales Kunst-Element war die Gestaltung der Zeitschrift durch Arbeiterfotograf:innen und Berichte, die ganz konkret das politische Geschehen und die Lebenswirklichkeit der werktätigen Menschen, den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion schilderten.

Am 1. Januar 1933 erscheint die AIZ mit einem Cover, auf dem Hitler von einem Felden zwischen Felsbrocken und anderen fallenden Politkern und einem zerbrochenen Hakenkreuz in die Tiefe stürzt. Titel: Glückliche Reise ins Neue Jahr wünscht die AIZ!

Sie widerlegten die bürgerliche Hetzpropaganda über den „Terror des Bolschewismus“ anhand der Realität als Lügen und Fake.

Mitglieder und Sympathisierende der KPD und freiwillige Unterstützer:innen vertrieben und verkauften die Zeitschrift auf den Straßen und in den Arbeiter:innenvierteln.

Auch die Zeitungsmacher:in-nen selbst waren unterwegs und erhielten viele Anregungen für Themen und Artikel durch Diskussionen und Nachfragen ihrer Leser:innen.

Der Name der Zeitschrift wurde 1923 in „Sichel und Hammer“ verändert, damit sollte das erweiterte inhaltliche Spektrum verdeutlicht werden.

Die Beschränkung auf Artikeln über die Sowjetunion und die Internationale Arbeiter:innenhilfe wurde aufgegeben. Zunehmend griffen die Redakteur:innen Themen wie Klassenkampffragen, Geschichte der Arbeiter:innenbewegung, Analysen über Ökonomie und Politik des deutschen Imperialismus, Krieg und Frieden, sowie Reportagen aus den vom Imperialismus unterdrückten Kolonien und vieles mehr auf.

November 1924 erfolgte die Umbenennung in „A-I-Z Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“. Sie erschien zweimal im Monat in größerem Format und mit einer, für damalige Zeiten, gewaltig hohen Auflage von 180 000 Exemplaren. Herausgeber war der Neue Deutsche Verlag von Willi Münzenberg. Die Redaktion war eng mit der KPD verbunden und wurde von dieser auch teilweise materiell unterstützt.

Nach der Umstellung auf den Kupfertiefdruck wurde die AIZ 1926 zur Wochenzeitung, mit 52 Heften im Jahr. Nach und nach wurde ihre Aufmachung und ihr Lay-out revolutioniert. Die innovative Verbindung von Bild und Text wurde unter dem Motto „Benütze Foto als Waffe!“1 einzigartig weiterentwickelt.

John Heartfield, der die „Fotomontage“ als eigenständige Kunstform entwickelt und etabliert hatte, wandte sie meisterlich an: Ironisch, verfremdend, dokumentarisch, satirisch, berührend und agitierend.

Die freiwilligen Korrespondenten und Bildreporter:innen wurden in Kursen mit den verschiedenen Techniken vertraut gemacht. Sein Ziel war die Arbeiter:innen zu ermächtigen ihre eigenen Ge-schichten zu erzählen und fotografisch zu dokumentieren. Eine moderne, innovative proletarische Berichterstattung in Wort und Bild. Mit Ironie und Satire auf die herrschenden Verhältnisse.

Der AIZ-Wettbewerb unter dem Motto „Unsere Leser als Fotomonteure“ wurde ge-startet. Die sogenannte Arbeiterfotografie erlebte eine agitatorische Blütezeit. Heartfield gestaltete ab 1930 monatlich eine Seite in der AIZ und blieb ihr, bis zu ihrer Einstellung 1938, eng verbunden.

Zwischen 1927 und 1933 entwickelte sich die AIZ zur zweitgrößten Illustrierten in Deutschland. Mit einer Auflage von über einer halbenMillion! Exemplaren. Aber das bedeutete nicht, dass „nur“ 500 000 Menschen sie gelesen haben. 20 Pfennige – das war ihr Preis – damals war das einfach unglaublich viel Geld für eine Arbeiter:innenfamilie.

Einer der Werbeslogans der AIZ lautete: „Lasst sie wandern! Gebt sie andern!“.Die Zeitschrift hatte also ein Vielfaches an Leser:innen, denn sie ging von Hand zu Hand.

1933, das Jahr der Machtübernahme des Nazi-Faschismus, war auch das Jahr als die AIZ aus Berlin ins Exil nach Prag/Tschechoslowakei getrieben wurde. 1936 wurde ihr Name in „AIZ – Das Illustrierte Volksblatt“ verändert. Chefredakteurin der AIZ war von 1927 bis 1933 Lilly Becher. 1 Ihr folgte der Literat F.C. Weiskopf, eine Schlüsselfigur des antifaschistischen Widerstands in der Tschechoslowakei. Bis 1938 konnte die Zeitschrift weiter herausgegeben werden, allerdings mit einer viel kleineren Auflage.

Die Belieferung der Leser:innen in Deutschland erfolgte durch ein Netz von AIZ-Unterstützer:innen, die sie illegal ins „Reich“ transportierten.

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Was der Streik der BVG-Arbeiter 1932 in Berlin lehrt

Der Streik ist ein Hebel der Revolution. Dies macht Ernst Thälmann (Vorsitzender der KPD) auf der Parteikonferenz der KPD im Oktober 1932 klar:

Daß es möglich ist, Kämpfe auszulösen, hat die jetzige Streikwelle aus Anlaß der September-Notverordnungen Papens bewiesen. Jeder Kampf erhöht die Schwierigkeiten der Bourgeoisie. Heute bekommt diese Frage eine ganz besondere Bedeutung. Mit dem Ende der relativen Stabilisierung geht auch die Periode der sozialen Reformen zu Ende. Jeder Kampf, jede Aktion, jeder Teilstreik oder gar Massenstreik gegen die Kapitalsoffensive bedeutet damit in weit höherem Maße als früher eine Steigerung der Schwierigkeiten für den Kapitalismus, für die Bourgeoisie.

Das allein schon muß uns die außerordentliche Bedeutung aller Formen des proletarischen Widerstandes gegen die Kapitalsoffensive klar machen. Aber noch eine zweite Frage: man kann zwar keinerlei Schema aufstellen, daß etwa politische Massenstreiks nur aus ökonomischen Streiks hervorwachsen oder nur im Anschluß an wirtschaftliche Streiks möglich sind. Aber man muß doch immer die enge Verflechtung der ökonomischen und politischen Kämpfe des Proletariats, die Lenin stets betont hat, ins Auge fassen. Und daraus kann man schlußfolgern: ohne die Erfahrungen einer ganzen Reihe von ökonomischen oder politischen Tageskämpfen, Teilstreiks, Massenstreiks bis zum Generalstreik ist es undenkbar, daß das Proletariat reif zur Aufrollung der Machtfrage wird. Und ein Drittes: Jahrelang haben Sozialdemokratie und Bourgeoisie uns Kommunisten als die Partei einer bloßen Demonstrationspolitik, bloßer revolutionärer Zukunftsperspektiven verleumdet. Gegenwärtig bietet sich glänzender denn je zuvor die Möglichkeit, diesen Schwindel vor den Massen zu entlarven und die wirkliche Rolle unserer Partei aufzuzeigen. (Ernst Thälmann, Die revolutionäre Massenpolitik. In: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Band 4, Köln, 1975)

Dass es die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie ein grundlegendes Gesetz des Kapitalismus ist, machten schon Karl Marx und Friedrich Engels schon ab 1847 klar. Deren Beweisführung und Schlussfolgerungen kann jeder Arbeiter in den Werken von Karl MarxLohnarbeit und Kapital“ (Peking, 1970 oder Marx-Engels-Werke (MEW) Band 6, S. 397-423) und „Lohn, Preis und Profit“ (Peking, 1975 oder MEW Band 16, S. 101-152) nachlesen. Marx schießt „Lohn, Preis und Profit“ mit folgenden Feststellungen:

1. Eine allgemeine Steigerung der Lohnrate würde auf ein Fallen der allgemeinen Profitrate hinauslaufen, ohne jedoch, allgemein gesprochen, die Warenpreise zu beeinflussen. 2. Die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion geht dahin, den durchschnittlichen Lohnstand nicht zu heben, sondern zu senken. 3. Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch zu machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“

Wie die KPD Ernst Thälmanns in den 1930er Jahren versuchte dieses Programm zum Sturz der Bourgeoisie in Deutschland konkret durchzuführen, kann man in der KPD-Broschüre „Der Streik der Berliner Verkehrsarbeiter“ (1932) nachlesen. Kurz zusammengefasst geht es darum: Ende 1932: Streik von 22.000 Arbeitern bei den Berliner Verkehrsbetrieben für fünf Tage. Die Polizei mordete Arbeiter, verhaftete Streikposten. Die SPD- und Gewerkschaftsführer ließen die Arbeiter im Stich und sabotierten den Streik. Heute werfen sie der KPD Zusammenarbeit mit den Nazis vor. Aber das ist Verdrehung der Tatsachen und schändliche Demagogie.

Diese KPD-Broschüre ist dankenswerter Weise von der Hamburger „Gedenkstätte Ernst Thälmann“ (E-Mail: kuratorium@thaelmann-gedenkstaette.de ) im November 2022 neu aufgelegt worden und kann dort gegen Portokosten und Spende bezogen werden.

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IG Metall schließt Reallohnraub ab

Kommentar zum aktuellen Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie durch die IG Metall

In der letzten Verhandlungsrunde zwischen IG Metall (IGM) und dem Kapitalistenverband Gesamtmetall in Baden-Württemberg ist es zu einem Pilotabschluss für die Metall- und Elektroindustrie gekommen. Haben die IGM-Kolleginnen und -Kollegen mit ihren Warnstreiks und Aktionen zu Beginn der Tarifrunde die Provokation der Metallkapitalisten, die lediglich eine Einmalzahlung für 30 Monate Laufzeit anboten, energisch zurückgewiesen und sind für ihre gemeinsam beschlossene Forderung 8 Prozent für 12 Monate eingestanden, so kommt die IG Metall-Führung mit ihrem Verhandlungsergebnis den Kapitalisten mindestens auf halbem Wege entgegen:

Fast zwei Jahre Laufzeit. Im Juni 2023 soll es die erste Lohnerhöhung mit 5,2 Prozent geben, im Mai 2024 die zweite um weitere 3,3 Prozent. Zwei Einmalzahlungen mit jeweils 1.500 Euro soll es im Februar 2023 und 2024 geben. Man braucht kein großer Rechenkünstler zu sein, um zu sehen, dass dieser Pilotabschluss erstens nichts mit der aufgestellten Tarifforderung der IG-Metallmitglieder (von 8 Prozent für ein Jahr) zu tun hat und zweitens von der Krise und Inflation in schon wenigen Monaten der 22-monatigen Laufzeit wieder aufgefressen sein wird.

Soll das Theater der Tarifverhandlungen ewig so weiter gehen?

Doch IGM-Boss Jörg Hofmann darf in den Hauptnachrichten des deutschen Fernsehens diesen Abschluss schönreden, indem er „vorrechnet“, dass ein Facharbeiter von diesem Tarifabschluss angeblich mit insgesamt 7.000 Euro profitieren werde. Egal ist dem obersten Chef der IGM offenbar, dass dieser Abschluss den Arbeitern in den unteren Lohngruppen zu wenig bringt, um irgendwie anständig mit den in die Höhe schießenden Preisen für Heizung, Wohnung, Brot und den anderen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs (also das was die bürgerlichen Wirtschaftsprofessoren Inflation nennen) fertig zu werden. Ganz egal sind der IGM-Führung wohl die Zeit- und Leiharbeiter, die für noch schlechtere Tarife wie dem der Metall- und Elektroindustrie schuften müssen.

Aber genau hier liegt der Hund begraben: In der IGM haben nicht die Massen der organisierten Arbeiter das Sagen, sondern die Betriebsratsfürsten der großen Monopolbetriebe und die (meist hauptamtlichen) Gewerkschaftsbürokraten, die in der jetzigen Situation mit Wirtschaftskrise (sowie Inflation) und imperialistischem Krieg (in Europa noch begrenzt auf die Ukraine) nichts mehr fürchten als die Auslösung eines gewerkschaftlichen Streiks. Denn im Streik wird den Arbeitern klar, dass sie sehr gut ohne Kapitalisten leben und arbeiten können, wie es die Praxis in der sozialistischen Sowjetunion unter Lenin und Stalin sowie dem China Mao Tsetungs gezeigt hat, aber die Kapitalisten niemals ohne die Ausbeutung ihrer Arbeiter existieren können.

Selbständige Kampf- und Streikkomitees für einen Lohnnachschlag

So bleibt den kämpferischen und fortschrittlichen Kolleginnen und Kollegen inner- und außerhalb der IGM bei Annahme dieses Tarifabschlusses nur die Möglichkeit auf selbständige Kämpfe für einen kräftigen Lohnnachschlag in ihren Betrieben und über Betriebsgrenzen hinweg zu orientieren, wenn die Tagesinteressen der Arbeiter verteidigt werden sollen. Für diesen Kampf ist dann die Wahl von selbständigen Kampf- und Streikkomitees notwendig, die nur den Interessen der Arbeiter verpflichtet sind und der Kontrolle der Arbeiter unterliegen. Beispiele für die Auslösung solcher selbständiger Arbeiter- und Volkskämpfe, die sehr schnell mit dem alten Staatsapparat und „der Politik“ aneinander geraten, gibt es in der Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung mehr als genug. Einer davon ist der Berliner Verkehrsarbeiterstreik im November 1932. Ein kürzlich erschienener Nachdruck einer Broschüre der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum „Streik der Berliner Verkehrsarbeiter“ von 1932 ist da sehr lehrreich. Dieser Nachdruck kann unter kuratorium@thaelmann-gedenkstaette.de gegen Porto und Spende bezogen werden.

Zur Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution an ihrem 105 Jahrestag

Die (Vor-)Geschichte der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution lässt sich hervorragend in der unter der Redaktion von J.W. Stalin geschriebenen „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) – Kurzer Lehrgang“ insbesondere in deren Kapitel:

  • II. Die Bildung der SDAPR. Die Entstehung der Fraktionen der Bolschewiki und Menschewiki innerhalb der Partei (1901-1904)
  • III. Menschewiki und Bolschewiki in der Periode des Russisch-Japanischen Krieges und der ersten russischen Revolution (1904-1907)
  • VI. Die Partei der Bolschewiki in der Periode des imperialistischen Krieges. Die zweite Revolution in Russland (1914 bis März 1917)
  • VII. Die Partei der Bolschewiki in der Periode der Vorbereitung und Durchführung der sozialistischen Oktoberrevolution (April 1917-1918)

nachvollziehen. Link: www.verlag-benario-baum.de/WebRoot/HostEurope/Shops/es151175/MediaGallery/PDF-Dateien/Geschichte_der_KPdSUB_-_Kurzer_Lehrgang.pdf

Mao Tsetung schätzt die Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution an deren 31. Jahrestag im November 1948 in seinem Artikel „Revolutionäre Kräfte der ganzen Welt, vereinigt Euch, kämpft gegen die gegen die imperialistische Aggression!“ (Ausgewählte Werke Band IV, Peking, 1969, S. 302-303):

Die Oktoberrevolution hat breite Möglichkeiten und reale Wege für die Befreiung der Völker der ganzen Welt eröffnet; sie hat eine neue Front der Revolutionen, von den Proletariern des Westens über die Revolution in Russland bis zu den unterjochten Völkern des Ostens, gegen den Weltimperialismus errichtet. Diese Front der Revolutionen wurde unter der weisen Führung von Lenin und, nach Lenins Tod, von Stalin geschaffen und entwickelt.

Will man die Revolution, dann muß man eine revolutionäre Partei haben. Ohne eine revolutionäre Partei, die gemäß der revolutionären Theorie und dem revolutionären Stil des Marxismus-Leninismus aufgebaut ist, ist es unmöglich, die Arbeiterklasse und die breiten Volksmassen zum Sieg über den Imperialismus und seine Lakaien zu führen. In den mehr als hundert Jahren seit der Geburt des Marxismus haben sich erst durch das Vorbild der russischen Bolschewiki bei der Leitung der Oktoberrevolution und des sozialistischen Aufbaus sowie bei der Niederschlagung der faschistischen Aggression revolutionäre Parteien neuen Typus im Weltmaßstab gebildet und entwickelt. Mit dem Vorhandensein solcher revolutionären Parteien hat sich das Antlitz der Weltrevolution geändert. Diese Wandlung war so gewaltig, daß es zu grandiosen Umwälzungen kam, wie sie sich die Menschen der älteren Generation gar nicht vorstellen konnten. Die Kommunistische Partei Chinas ist eine Partei, die sich nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion aufgebaut und entwickelt hat. Mit der Geburt der Kommunistischen Partei Chinas hat die chinesische Revolution ein völlig neues Antlitz bekommen. Ist diese Tatsache nicht klar genug?

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Keine Armut ohne Kinderarmut

Je weniger einer hat, desto mehr kann man ihm nehmen. Denn eine wuchtige Inflation trifft die ärmeren Haushalte besonders. Und zwar nicht nur absolut, indem das Limit dieser Haushalte schneller erreicht ist. Sondern auch relativ.

Die gegenwärtige Inflation hat ihre Schwerpunkte gerade bei Energie und Lebensmitteln. Diese Bereiche machen einen desto größeren Anteil an den monatlichen Ausgaben eines Haushalts aus, je geringer dessen Einkommen ist. Wie man dem am Dienstag veröffentlichten Inflationsmonitor der Hans-Böckler-Stiftung entnehmen kann, mussten bei den vierköpfigen Haushalten (zwei Kinder) die mit niedrigem Einkommen eine Kostenerhöhung von 11,8 Prozent hinnehmen, die mit mittleren Einkommen 10,6 Prozent, die mit hohen 9,7. Kinderlosen Haushalten geht es vergleichsweise besser. ­Wohlhabende Alleinlebende etwa hatten im Vergleich zum Vorjahr eine Steigung von 8,7 Prozent zu verkraften.

Keine Armut folglich ohne Kinderarmut. Was an Haushalten mit mehr als zwei Kindern noch deutlicher wird. Wer mit mehreren Geschwistern in einer Familie aufwächst, ist nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung vom 10. November besonders betroffen. Fast ein Drittel aller Mehrkindfamilien gelte als einkommensarm. »Jeder dritte Hartz-IV-Empfänger ist ein Kind, obwohl der Anteil von Kindern an der Gesamtbevölkerung in Deutschland nur bei rund 16 Prozent liegt«, sagte Holger Hofmann vom Deutschen Kinderhilfswerk am Dienstag. (…)

Quelle: junge Welt vom 16.11.2022, S. 1