„Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß quantitative Veränderungen in der alten. So gelangt man von den politischen Ansichten Bernsteins zum selben Schluss wie von seinen ökonomischen Theorien: dass sie im Grunde genommen nicht auf die Verwirklichung der sozialistischen Ordnung, sondern bloß auf die Reformierung der kapitalistischen, nicht auf die Aufhebung des Lohnsystems, sondern auf das Mehr oder Weniger der Ausbeutung, mit einem Worte, auf die Beseitigung der kapitalistischen Auswüchse und nicht des Kapitalismus selbst abzielen.“ (Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? 1899)[1]
„Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der „Arbeiteraristokratie“, in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist die Hauptstütze der II. Internationale und in unseren Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, […] wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie, auf die Seite der „Versailler“ gegen die „Kommunarden“.“ (W.I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (Vorwort), 1920)[2]
„[D]er Imperialismus sonderte eine Handvoll der reichsten, fortgeschrittenen Nationen aus, die die ganze Welt ausplündern, und gestattete eben dadurch der Bourgeoisie dieser Länder, aus ihrem monopolistischen Extraprofit (Imperialismus ist monopolistischer Kapitalismus) die Oberschicht der Arbeiterklasse dieser Länder zu bestechen.“ (W.I. Lenin, Über die Aufgaben der III. Internationale, 1919)[3]
„Eine der Hauptursachen, welche die revolutionäre Arbeiterbewegung in den entwickelten kapitalistischen Ländern erschweren, besteht darin, dass es dem Kapital hier dank dem Kolonialbesitz und den Extraprofiten des Finanzkapitals usw. gelungen ist, eine relativ breite und feste Schicht der Arbeiteraristokratie herauszubilden, die eine kleine Minderheit ist. Sie erfreut sich besserer Lohnbedingungen und ist am meisten vom Geist zünftlerischer Beschränktheit, von kleinbürgerlichen und imperialistischen Vorurteilen durchdrungen.“ (W.I. Lenin, Thesen über die Hauptaufgaben des II. Kongress der Kommunistischen Internationale, 1920)[4]
Nun dürften diese Analysen der Marxisten Rosa Luxemburg und W.I. Lenin eine Frau Wagenknecht nicht anfechten. Denn sie hat schon in ihrem Buch von 2011 ihre Parole „Ludwig Erhard statt Karl Marx!“ – also „Soziale Marktwirtschaft und Sozialstaat statt Sozialismus!“ – ausgegeben: „Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft ruht auf vier Grundsäulen: dem Sozialstaat, dem Prinzip persönlicher Haftung, der gemischten Wirtschaft und der Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Die letzte Säule ist die tragende, bei der deren Erosion das ganze Gebäude in sich zusammenfällt. Ludwig Erhards Versprechen lautet: „Wohlstand für alle.“ Nur ein kreativer Sozialismus wird dieses Versprechen jemals einlösen können.“[5]
Mit Wagenknechts „kreativem Sozialismus“ verhält es sich so, wie mit all den anderen opportunistischen Sozialismen, die Kommunisten entlarven müssen: „Der Opportunismus ist unser Hauptfeind. Der Opportunismus in den Spitzen der Arbeiterbewegung ist kein proletarischer, sondern bürgerlicher Sozialismus. Die Praxis hat bewiesen, dass die Politiker innerhalb der Arbeiterbewegung, die der opportunistischen Richtung angehören, bessere Verteidiger der Bourgeoisie sind als die Bourgeois selbst.“ (W.I. Lenin, II. Kongress der Kommunistischen Internationale, 1920)[6]
In ihrem neuen Buch „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ (Frankfurt/Main, 2021), dessen Titel schon klar macht, dass Frau Wagenknecht ihren Weg weiter geht, die werktätigen Massen in der BRD noch enger an den BRD-Imperialismus zu binden. Der Kitt, mit dem sie die antagonistischen Klassengegensätze in der BRD zuzukleistern versucht, ist das alte Lied vom Sozialstaat der „alten“ BRD (vor der Annexion der DDR im Jahr 1990), vom „gerechten“ und „fairen“ Lohn und dem Zusammenhalt in der Sozialpartnerschaft von Arbeit und Kapital …
Dies betreibt sie so penetrant, dass es selbst der „Unsere Zeit. Zeitung der DKP“ auffällt, die zum neuen Wagenknecht-Buch schreibt: „Wer die vorherigen Werke der Autorin kennt, der wird nicht überrascht sein, dass Wagenknecht an den Sozialstaatsversprechen der alten BRD wie „Sicherheit, kollektive Normen, standardisierte Arbeitsverträge, Aufstiegsmöglichkeiten“ anknüpfen will, an „geordnete Welt, Stabilität und Sicherheit im Leben, demokratische Gesellschaften mit echtem Wir-Gefühl und Vertrauen zu anderen Menschen“. „Linkskonservativ“ ist dafür ein passender Begriff. Sie spricht damit vermutlich immer noch weite Teile des Industrieproletariats , der Landbevölkerung und der „alten Mittelschichten“ an.“[7]
Die verbliebenen Kommunisten sollten sich gegen solchen offensichtlichen Opportunismus und Revisionismus klar auf ihre weltanschaulichen Grundlagen, den Marxismus-Leninismus, besinnen und versuchen die marxistisch-leninistische Staatslehre, die politische Ökonomie und die Kritik am Sozialstaat und der Sozialstaatsillusion weiter zu verbreiten. Dabei kommt es auch darauf an, die sozialdemokratischen Taschenspielertricks theoretischer und praktischer Natur zu entlarven. Diese sind ja keineswegs neu und originell von Frau Wagenknecht und ihren Büchern zu verantworten. Sie gibt es seit Gründung des deutschen Reiches und Generationen von „Sozialisten“ versuchten der Arbeiterklasse in Deutschland vorzugaukeln, dass die Bismarckschen Sozial-und Arbeitsschutzgesetzgebung sowie dann besonders die demokratische und soziale „Weimarer Republik“ Formen ihres Sozialismus darstellen. Die historische Darstellung der Entwicklung der Sozialstaatsillusion lässt sich von Beginn der Bismarckschen Sozialgesetzgebung und der Haltung der revolutionären Sozialdemokratie gegen diese im ersten Band der „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“[8] sowie dem Artikel „Zur Herausbildung der Sozialstaatsillusion in Deutschland“[9] nachlesen.
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