J.W. Stalin analysiert den Übergang von der ersten zur zweiten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus, indem er die ökonomischen und politischen Krisen der kapitalistischen Ländern in den 1930er Jahren, also die Krise des Weltkapitalismus und die Außenpolitik der sozialistischen Sowjetunion, einer genauen Untersuchung unterzieht. So werden auch die polit-ökonomischen Ursachen des Sieges des Faschismus in einigen kapitalistischen Ländern, darunter besonders in Nazi-Deutschland, untersucht.
J.W. Stalin:
RECHENSCHAFTSBERICHT AN DEN XVII. PARTEITAG ÜBER DIE ARBEIT DES ZK DER KPdSU(B)
26. Januar 1934
I
DIE FORTDAUERNDE KRISE DES WELTKAPITALISMUS UND DIE AUSSENPOLITISCHE LAGE DER SOWJETUNION
Genossen! Seit dem XVI. Parteitag sind über drei Jahre vergangen. Das ist keine sehr lange Periode. Aber sie ist inhaltsreicher als irgendeine andere. Ich glaube, dass keine einzige Periode des letzten Jahrzehnts so reich an Ereignissen war wie diese Periode.
Auf wirtschaftlichem Gebiet waren dies Jahre der fortdauernden Weltwirtschaftskrise. Die Krise erfasste nicht nur die Industrie, sondern auch die ganze Landwirtschaft. Die Krise wütete nicht nur in der Sphäre der Produktion und des Handels. Sie griff auch auf die Sphäre des Kreditwesens und der Geldzirkulation über und stellte die zwischen den Ländern bestehenden Kredit- und Valutabeziehungen auf den Kopf. Hat man früher hier und dort noch darüber gestritten, ob es eine Weltwirtschaftskrise gebe oder nicht, so streitet man darüber jetzt nicht mehr, denn die Krise und ihre verheerenden Wirkungen treten allzu klar zutage. Jetzt geht der Streit bereits um etwas anderes, nämlich darum, ob man aus der Krise herauskommen kann oder nicht, und wenn man herauskommen kann – was ist dann weiter zu tun?
Auf politischem Gebiet waren dies Jahre der weiteren Verschärfung der Beziehungen sowohl zwischen den kapitalistischen Ländern als auch innerhalb dieser Länder. Der Krieg Japans gegen China und die Okkupation der Mandschurei, die die Beziehungen im Fernen Osten verschärften; der Sieg des Faschismus in Deutschland und der Triumph des Revanchegedankens, die die Beziehungen in Europa verschärften; der Austritt Japans und Deutschlands aus dem Völkerbund, wodurch dem Anwachsen der Rüstungen und den Vorbereitungen zum imperialistischen Krieg ein neuer Anstoß gegeben wurde; die Niederlage des Faschismus in Spanien, die ein übriges Mal gezeigt hat, dass eine revolutionäre Krise heranreift und dass der Faschismus keineswegs von langer Lebensdauer ist – das sind die wichtigsten Tatsachen aus der Berichtsperiode. Kein Wunder, dass der bürgerliche Pazifismus in den letzten Zügen liegt und die Abrüstungstendenzen offen und unmittelbar durch die Rüstungs- und Aufrüstungstendenzen abgelöst werden.
Inmitten dieser tobenden Wellen der wirtschaftlichen Erschütterungen und militärisch-politischen Katastrophen steht die UdSSR unerschütterlich wie ein Fels da und setzt ihr Werk fort, das Werk des sozialistischen Aufbaus und des Kampfes für die Erhaltung des Friedens. Während dort, in den kapitalistischen Ländern, immer noch die Wirtschaftskrise wütet, dauert in der UdSSR der Aufschwung sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft weiter an. Während dort, in den kapitalistischen Ländern, fieberhaft zu einem neuen Kriege gerüstet wird, um die Welt und die Einflusssphären neu aufzuteilen, setzt die UdSSR den systematischen, beharrlichen Kampf gegen die Kriegsgefahr und für den Frieden fort, und man kann nicht sagen, dass die Bemühungen der UdSSR auf diesem Gebiet keinen Erfolg gehabt hätten.
Das ist das allgemeine Bild der internationalen Lage im gegenwärtigen Augenblick.
Gehen wir nun zur Prüfung der wichtigsten Angaben über die wirtschaftliche und politische Lage der kapitalistischen Länder über.
1. Der Verlauf der Wirtschaftskrise in den kapitalistischen Ländern
Die jetzige Wirtschaftskrise in den kapitalistischen Ländern unterscheidet sich von allen analogen Krisen unter anderem dadurch, dass sie die andauerndste und langwierigste Krise ist. Erschöpften sich früher die Krisen in ein, zwei Jahren, so dauert die jetzige Krise bereits das fünfte Jahr, verheert Jahr für Jahr die Wirtschaft der kapitalistischen Länder und zehrt das Fett auf, das sie in den früheren Jahren angesetzt hat. Kein Wunder, dass diese Krise die schwerste aller Krisen ist.
Womit ist dieser unerhört langwierige Charakter der jetzigen industriellen Krise zu erklären?
Er erklärt sich vor allem damit, dass die industrielle Krise alle kapitalistischen Länder ohne Ausnahme erfasst und das Manövrieren der einen Länder auf Kosten der anderen erschwert hat.
Er erklärt sich zweitens damit, dass die industrielle Krise sich mit der Agrarkrise verflochten hat, die alle Agrar- und Halbagrarländer ohne Ausnahme erfasst hat, was die industrielle Krise unvermeidlich komplizieren und vertiefen musste.
Er erklärt sich drittens damit, dass die Agrarkrise sich in dieser Zeit verschärft und alle Zweige der Landwirtschaft, darunter auch die Viehzucht, erfasst hat, zur Degradation der Landwirtschaft geführt hat, zum Übergang von den Maschinen zur manuellen Arbeit, zur Ersetzung des Traktors durch das Pferd, zu einer starken Einschränkung in der Anwendung von Kunstdünger, bisweilen sogar zum völligen Verzicht darauf, was die industrielle Krise noch mehr in die Länge gezogen hat.
Er erklärt sich viertens damit, dass die in der Industrie herrschenden monopolistischen Kartelle bestrebt sind, die hohen Warenpreise aufrechtzuerhalten, ein Umstand, der die Krise besonders heftig macht und es verhindert, dass die Warenvorräte aufgesaugt werden.
Er erklärt sich schließlich damit – und das ist die Hauptsache -, dass sich die industrielle Krise auf der Basis der allgemeinen Krise des Kapitalismus entwickelte in einer Zeit, da der Kapitalismus sowohl in den ausschlaggebenden Ländern als auch in den Kolonien und abhängigen Ländern nicht mehr jene Stärke und Festigkeit hat und haben kann, die er vor dem Kriege und der Oktoberrevolution hatte, und da die Industrie der kapitalistischen Länder vom imperialistischen Krieg eine chronische Unterbeschäftigung der Betriebe und Millionenarmeen von Arbeitslosen geerbt hat, die sie nicht mehr loswerden kann.
Das sind die Umstände, die den überaus langwierigen Charakter der jetzigen industriellen Krise bestimmt haben.