Gegen rechte Asylpolitik

Nachfolgend wird ein Artikel aus der Tageszeitung „junge Welt“ vom 20.06.2024 zum Thema (Arbeits-) Migration und Asylrecht abgedruckt:

Regierungschefs sollen Kurs ändern

Appell an Ministerpräsidentenkonferenz: Organisationen fordern Abkehr von rechter Asylpolitik. Von Marc Bebenroth

Bevor die Innenminister der 16 Bundesländer und des Bundes am Mittwoch nachmittag in Potsdam zusammentraten und sich zu neuen Missetaten gegen Minderheiten verschworen, haben 309 Organisationen einen gemeinsamen Appell an ihre Vorgesetzte veröffentlicht. Darin werden Bundeskanzler Olaf »endlich im großen Stil abschieben« Scholz (SPD) sowie die Regierungschefs der 16 Bundesländer dazu aufgerufen, »die Auslagerung von Asylverfahren klar abzulehnen«. Statt dessen, so die Forderung, sollen sich Bund und Länder gemeinsam mit der »Zivilgesellschaft« für eine »zukunftsfähige« Aufnahme von Schutzsuchenden der BRD »stark machen«. Hinter dem Appell steht demnach ein Bündnis, das von der Nichtregierungsorganisation Pro Asyl initiiert wurde und dem der Paritätische Sozialverband ebenso angehört wie »Ärzte ohne Grenzen«, »Brot für die Welt«, Amnesty International und andere.

Als Anlass für den Appell dient den Organisationen die an diesem Donnerstag tagende Ministerpräsidentenkonferenz – ausgerechnet an dem Tag, der laut den Vereinten Nationen »daran erinnert, dass Millionen von Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen«. Die UNO ruft deshalb für diesen 20. Juni zur weltweiten Solidarität mit Geflüchteten auf und wird den jährlichen Bericht ihres Flüchtlingshilfswerks UNHCR veröffentlichen. Aktuell seien demnach 120 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, die »größte Zahl an Vertriebenen, die je registriert wurde«.

Beide Appelle dürften allerdings auf taube Ohren bei den Regierungschefs stoßen, die derzeit im Wettstreit um die härtesten Forderungen nach rigoroser Asyl- und Abschiebepolitik dieses Feld als offenbar letztes begreifen, auf dem sie noch Handlungsfähigkeit demonstrieren können. Dabei argumentieren die mehr als 300 Organisationen unter anderem auch finanziell: »Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen«, würde nicht funktionieren, seien »extrem teuer« und eine »Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit«.

Quelle: jW vom 20.06.2024 – http://www.jungewelt.de/artikel/477707.asylpolitik-von-bund-und-ländern-regierungschefs-sollen-kurs-ändern.html

Mehr “Inhumanität” wagen? Ex-Bundespräsident Gauck will Asylrecht verschärfen

Nachfolgend ist ein Kommentar zur Verschärfung des Asylrechts und dem beabsichtigten Schleifen des Schutzes der Genfer Flüchtlingskonvention abgedruckt, der zuerst auf http://www.perspektive-online.net erschienen ist:

In einem Interview mit dem ZDF hat der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich die faktische Abschaffung des Asylrechts gefordert. Für viele kam dies überraschend, schließlich fußt seine gesamte politische Karriere auf seinem Ruf als ehemals führender „Bürgerrechtler” in der DDR. Tatsächlich zeigt er in dem Gespräch jedoch deutlicher als kaum jemand anderer die Verlogenheit der BRD, wenn es um Menschenrechte geht. – Ein Kommentar von Rudolf Routhier.

In der Flüchtlingspolitik will ein Spitzenpolitiker künftig „Spielräume entdecken, die uns zunächst unsympathisch sind, weil sie inhuman klingen”. Wer bei dieser düsteren Forderung jetzt an die Spitzen der AfD denkt, hat falsch geraten. Die Forderung nach „mehr Inhumanität wagen” kommt nicht aus dem Munde eines Gauland, eines Höcke oder einer Weidel, sondern von einem Musterschüler der „Demokratie”, von Altbundespräsident Joachim Gauck. Seiner Meinung nach sei es jetzt an der Zeit, „Undenkbares zu Denken”.

Konkret soll sich Deutschland dabei an Dänemark orientieren. Dort hat die sozialdemokratische Regierung das Asylrecht über die letzten Jahre faktisch abgeschafft. Seit 2021 wurden von unserem nördlichen Nachbarland, mit Ausnahme einiger ukrainischer Geflüchteter, keine Asylbewerber:innen mehr aufgenommen. Auch der Familiennachzug und die Einbürgerung wurden faktisch unmöglich gemacht: Abschiebungen selbst in Fällen politischer Verfolgung oder zurück in Kriegsgebiete sind weiterhin an der Tagesordnung.

Zudem wurden bereits 2015 in Stadtteilen Dänemarks mit mehr als 50 Prozent migrantischer Bevölkerung regelrechte Ghettos eingerichtet. Dort gilt eine eigene Gesetzgebung, selbst kleine Vergehen werden drakonisch bestraft, Sozialwohnungen werden regelmäßig abgerissen, Anwohner:innen vertrieben oder zum Umzug gezwungen. Danach können diese “Problemviertel” profitabel aufgewertet werden.

Gaucks Rechtfertigung für seine Forderung lautet ungefähr: Würden die „demokratischen Parteien” jetzt nicht die Festung Europa aufrüsten, würden rechte Parteien weiter an Wähler:innen-Stimmen gewinnen. Gar nicht so weit weg von dem Motto: “Wir müssen die Forderungen des Faschismus erfüllen, sonst gewinnt der Faschismus”. So seltsam diese Haltung zunächst wirken mag, so ähnelt sie doch einer der raffiniertesten Funktionen des Faschismus in der kapitalistischen “Demokratie”. Solcherlei Hetze bietet den perfekten Deckmantel, um nach Außen und Innen aufzurüsten – schließlich reagiere man doch nur auf  eine angeblich wahrgenommene Stimmung in der Bevölkerung.

Der Vorzeige-Oppositionelle 

Manche mag Gaucks menschenverachtende Polemik jetzt überraschen. Verbrachte Gauck doch große Teile seiner Karriere damit, durch die politische Landschaft der BRD zu geistern und jeder Person, die es hören oder auch nicht hören wollte, Floskeln über Freiheit, Menschenrechte und Demokratie um die Ohren zu hauen. Als Vorzeige-Oppositioneller der DDR habe er ja nachweislich bereits Erfahrung mit Diktatur und dem Entdecken “inhumaner Spielräume” z.B. bei der Grenzpolitik gemacht.

Diese Opposition wurde ihm schon von frühester Kindheit an beigebracht – jedoch nicht aus einer Liebe zur “Demokratie” heraus: Vater und Mutter waren beide NSDAP-Mitglieder, der Vater Offizier der Kriegsmarine. Nach dem Krieg kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, das verzieh die Familie Gauck der Sowjetunion nie.

In Gaucks eigenen Worten: “Das Schicksal unseres Vaters wurde zur Erziehungskeule. Die Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus. Das machen wir nicht, vermittelte uns die Mutter unmissverständlich. Ich hatte dieses Gebot so verinnerlicht, dass ich nicht einmal mehr durch die Freizeitangebote der FDJ in Versuchung geriet. Dafür lebte ich in dem moralisch komfortablen Bewusstsein: Wir sind die Anständigen. Intuitiv wehrte ich das Werben des Regimes für die Akzeptanz seiner moralischen und politischen Ziele ab, denn über uns hatte es Leid und Unrecht gebracht.“

“Bürgerrechtler der letzten Stunde”

Ein bizarres Weltbild, in dem “moralisch anständige” ehemalige NSDAP-Mitglieder in Kriegsgefangenschaft sind. Doch das war für das Nachkriegsdeutschland an und für sich nichts Ungewöhnliches. Für viele “ehemalige” Faschist:innen war der Tag der Befreiung ein Tag der Schande und der Niederlage. Joachim Gauck blieb seiner Erziehung ein Leben lang treu. Unter Anleitung seines Onkels, dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und SA-Führer Gerhard Schmitt, trieb es ihn in die kirchliche Opposition zur DDR.

Doch da blieb er bis zur Wende ein verhältnismäßig kleines Licht. Erst nach dem Fall der DDR wurde Gauck zur Symbolfigur der Opposition. Andere kritisierten dies: Er sei ein “Bürgerrechtler der letzten Stunde” gewesen und in der Oppositionsbewegung nicht groß aufgefallen. Doch er war das, was die BRD brauchte: kein Faschist, aber auch keiner der vielen linken Oppositionellen, die eine Beibehaltung der Sozialgesetzgebung der DDR oder gar ihre Eigenständigkeit wollten. Gauck war ein gesamtdeutscher Patriot, fest verankert auf dem Boden der Marktwirtschaft. Der Beginn einer jahrzehntelangen Karriere, die im Amt des Bundespräsidenten gipfelte.

Mauern sind für Gauck nicht gleich Mauern

Gaucks Interview könnte zu einem kaum besseren Zeitpunkt kommen – dürfen wir doch in wenigen Wochen am Tag der Deutschen Einheit wieder den ‘Endsieg’ “der Westdeutschen Demokratie” feiern. Wenn also kurz vorher das liebste Kind der DDR-Opposition wieder den Ausbau der ‘Festung Europa’ fordert, zeigt dies nur, dass es für die BRD im Kampf mit der DDR in Wahrheit wahrscheinlich nie um Menschenrechte, Mauern oder Todesstreifen ging.

Das Schicksal der DDR-Bürger:innen wurde Gauck vermutlich in dem Moment egal, als die “Treuhand” für die Profite westdeutscher Kapitalist:innen ihre Arbeitsplätze und Infrastruktur vernichtete. So ist für ihn nun vergleichsweise auch das Leben von Geflüchteten womöglich nur so viel wert wie der deutsche Kapitalismus ihnen zumisst bzw. zugesteht.

Selten zeigt sich dies deutlicher als jetzt vor den Toren der ‘Festung Europa’. Für alle, die wegen Krieg, Klimakrise, Unterdrückung oder Ausbeutung aus ihrer Heimat fliehen müssen, warten dort nicht etwa Freiheit, Menschenrechte und Milka-Schokolade, sondern nur die Gewalt der Frontex-Söldner. Darüber täuschen auch die Krokodilstränen um die Mauertoten nicht hinweg.

Quelle: http://www.perspektive-online.net/2023/09/mehr-inhumanitaet-wagen-ex-bundespraesident-gauck-will-asylrecht-verschaerfen/