Kurt Gossweiler: Die Fehler der KPD im Umgang mit dem Proletariat

Nachstehend spiegle ich eine Zusammenstellung aus dem Jahr 2017 zum Thema „Die Fehler der KPD im Umgang mit dem Proletariat“ von Kurt Gossweiler zur Diskussion um die Schaffung der antifaschistischen Einheits- und Volksfront (Quelle):

Band 2Eine höchst wichtige, aber nichtsdestotrotz bisher kaum bekannte Studie erstellte der Historiker Dr. Kurt Gossweiler mit der ihm eigenen Gründlichkeit bereits 1957. Er untersuchte nämlich die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung dahingehend, wie es dem deutschen Monopolkapital gelingen konnte, die Mehrheit der Arbeiterklasse für ihre Zwecke einzuspannen. Unter Ausnutzung politischer Parteien vertiefte die Bourgeoisie die Spaltung der Lohnabhängigen. Das führte zu einer Zersplitterung, die bis heute selbst in Krisenzeiten nicht überwunden werden konnte. Konkret geht es dabei um die Rolle der SPD, als einer Stütze der bürgerlichen Ordnung und die Fehler und Versäumnisse der KPD bei der Auseinandersetzung mit noch so kleinen linken Abweichungen, die schwerwiegende Folgen nach sich zogen.

Analysen zu den geschichtlichen Ereignissen

Erstaunlich ist, daß die Studie nicht einmal 1986, als die opportunistische Richtung der sog. „Perestrojka“ in der UdSSR längt erkennbar war, in den führenden Kreise der SED zur Kenntnis genommen wurde. Es mußte also erst eine Zeit kommen, in der mehr und mehr Klarheit darüber herrschte, welche opportunistischen und revisionistischen Kräfte auch innerhalb der SED Fuß gefaßt hatten und was eigentlich zum Sturz des sozialistischen Weltsystems geführt hatte. Über den modernen Revisionismus der antikommunistischen Chruschtschow-Clique hatte Kurt Gossweiler damals schon eine sehr klare Vorstellung.

Kurt Gossweiler schrieb im November 1986 über seine Arbeit:

Als ich fertig war mit der Ausarbeitung, war ich selbst erschrocken darüber, zu welch scharfer Kritik an der KPD-Politik ich gelangt war, und war schon halb entschlossen, sie nicht als Grundlage für einen Zirkel zu benutzen. Ich gab das Manuskript aber doch einigen mir bekannten Genossen aus dem Zirkel zu lesen. Ihre Reaktion bestimmte mich dann endgültig, das Papier lediglich dem Archiv anzuvertrauen: sie, die größtenteils völlig auf den mir verhaßten Chruschtschow-Positionen standen, waren begeistert über meine „Abrechnung mit dem Dogmatismus“. In der damaligen Situation wäre es – das wurde mir sehr klar – im höchsten Maße parteischädigend gewesen, mit einer solchen Ausarbeitung vor die Öffentlichkeit zu treten. Selbst jetzt halte ich die Zeit noch nicht für gekommen für eine Veröffentlichung. Mögen also andere später darüber entscheiden, ob und wann es nützlich sein könnte, diese Studie zur Diskussion zu stellen. [1]

Und 15 Jahre später, im September 2001:

Heute, fast ein halbes Jahrhundert nach ihrer Ausarbeitung und ein Jahrzehnt nach dem zeitweiligen – Sieg der Konterrevolution über den europäischen Sozialismus, kann die Veröffentlichung dieser Studie mehrfach von Nutzen sein.

Zum einen als Beleg dafür, daß noch so scharfe kommunistische Selbstkritik nichts gemein hat mit dem schändlichen Denunziantentum der Gysi, Brie und Zimmer gegenüber der KPD, SED und DDR; nichts zu tun hat auch mit der verachtungswürdigen Anbiederung der Entschuldigungsfanatiker an die heute Herrschenden für ein wenig Teilhabe an deren Volksbetrug und Sozial- und Demokratie-Abbau, also am Abbau dessen, was von den Werktätigen der BRD nicht zuletzt dank der Existenz der DDR seit Mitte des vorigen Jahrhunderts errungen worden war.

Zum anderen, weil seit der Ausbreitung des deutschen Imperialismus auch auf das Gebiet der DDR nach dem Wegfall der sich nun tatsächlich als antifaschistischer Schutzwall erwiesenen Mauer der Faschismus einen solchen Auftrieb erhalten hat, daß sich die Älteren fast wieder in den Anfang der dreißiger Jahre versetzt fühlen, und der Kampf gegen den Faschismus – ein Faschismus, der heute als „Rechtsextremismus“ verharmlost wir – wieder zu einer erstrangigen Aufgabe geworden ist. Damit haben aber auch die Lehren aus dem damaligen Kampf gegen den Faschismus eine neue Aktualität gewonnen.

Ich hoffe, daß die Leser dieser Studie – trotz ihres weit zurück liegenden Entstehungsdatums – aus diesen Gründen die Veröffentlichung gerechtfertigt sehen. [2]

Und so setzte sich Kurt Gossweiler auch mit solchen – gelinde gesagt – unglücklichen Formulierungen, wie dem „Sozialfaschismus“ und „Sowjetdeutschland“ auseinander und untersuchte die Gründe für das nicht Zustandekommen einer „Einheitsfront“ gegen den damals aufkommenden Faschismus.

Die Formulierung „Sozialfaschismus“ wäre nur dann zutreffend, wenn die SPD zum Träger der faschistischen Diktatur, d.h. der offenen, terroristischen Diktatur über die gesamte Arbeiterklasse und deren Organisationen werden könnte, ohne daß sie damit aufhörte, Sozialdemokratie zu sein. d.h. Agentur der Bourgeoisie, deren spezifischer Wert für die Bourgeoisie darin besteht, daß sie das Vertrauen eines erheblichen Teiles der organisierten Arbeiterklasse besitzt. Das aber ist unmöglich.[3]

Es gab eine Reihe von Fehlern und Irrtümern…

Alle genannten und noch andere Fehler und Irrtümer trugen bei, daß die KPD die Gefährlichkeit des Hitlerfaschismus für die Arbeiterbewegung gewaltig unterschätzte (Anm. 28). Der Hauptirrtum bestand darin, daß sie nicht bis zu Ende klar erkannte, daß das Ziel aller Gruppen des deutschen Monopolkapitals seit der Ablösung der Hermann-Müller-Regierung die Einbeziehung der Nazis in die Regierung, die Ablösung der einen Stütze ihrer Herrschaft – der SPD – durch die andere – die NSDAP – war und sein mußte. [4]

Was wäre notwendig gewesen?

Um all dies in der damaligen Situation zu erkennen, war allerdings ein radikaler Bruch mit allen alten Vorstellungen und ein genialer Blick für die sich gerade erst in der Keimform, im Dunkel der Zukunft abzeichnenden neuen Möglichkeiten der revolutionären Bewegung vonnöten. Diesen Blick hatte Lenin besessen, nach ihm – keiner, auch nicht sein bester Schüler, Stalin, auch nicht so hervorragende Führer der internationalen Proletariats, wie Dimitroff, Thorez und Togliatti. [5]

Hinzuweisen ist hier vor allem auch auf den berühmten „Brief an die deutschen Kommunisten“. Dort schrieb Lenin im Jahre 1921:

Dieser Haß – das edelste, erhabenste Gefühl der besten aus der geknechteten und ausgebeuteten Masse machte die Leute blind, nahm ihnen die Möglichkeit, kaltblütig zu überlegen, eine eigene richtige Strategie auszuarbeiten als Antwort auf die glänzende Strategie der bewaffneten, organisierten, durch die ‚russische Erfahrung‘ gewitzten, von Frankreich, England und Amerika unterstützten Kapitalisten. [6]

Achso, und übrigensStalin… dazu schrieb Kurt Gossweiler:

Zu Stalin:
a) Stalins Autorität in der internationalen Arbeiterbewegung – voll und ganz verdient. Bester Schüler Lenins.
b) Es ist ein Verdienst Stalins, daß er seine Autorität für das Thälmannsche ZK in die Waagschale warf.
c) Die Grenzen Stalins: Hang zur Vergröberung und Schablonisierung: Nicht frei von linksradikalen Tendenzen. Der Radikalismus Stalins (und Thälmanns) jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Radikalismus der kleinbürgerlichen Ultralinken (Ruth Fischer usw.), sondern ein sozusagen proletarischer Radikalismus, der keine Schwierigkeiten fürchtet und vor ihnen nicht zurückschreckt und der nie die Klassenlinie verläßt.

Stalin (wie Thälmann) haben stets die Gleichsetzung der sozialdemokratischen Arbeiter mit den sozialdemokratischen Führern entschieden bekämpft. Stalins (wie Thälmanns) hervorragendste Eigenschaft: Treue zur Sache der proletarischen Revolution, unversöhnlicher Haß gegen alle Feinde des Proletariats. Stalin fehlte die Gabe Lenins, auch das, was der Feind und Gegner sagte, daraufhin zu prüfen, ob nicht etwas Wahres, etwas Brauchbares darin steckt.

Stalin hatte zu dieser Zeit selbst gewissermaßen „noch nicht ausgelernt“. Sechs Jahre später zeigt er eine meisterhafte Beherrschung der Leninschen Strategie und Taktik (Nichtangriffsvertrag mit Deutschland). Im Gegensatz zu Lenin: keine persönliche Kenntnis der westeuropäischen Arbeiterbewegung. Aus all diesen Gründen war Stalin – bei allem, was die KPD ihm an Hilfe verdankt – nicht imstande, die damaligen Fehler der KPD zu korrigieren, sondern er hat sie des öfteren zusammen mit der Führung der KI in ihrer falschen Haltung bestärkt. [7]

Zitate:
[1] Kurt Gossweiler: Wie konnte das geschehen? Bd 2, S.6f.
[2] ebd. S.7.
[3] ebd. S.43.
[4] ebd. S.49.
[5] ebd. S.54.
[6] W.I. Lenin, Werke, Bd.32, S.537-548 oder: AW6, Bd.VI, S.342-354.
[7] ebd. S.79.
Quelle: 
Kurt Gossweiler: Wie konnte das geschehen? Sammlung der Analysen, Referate, Kritiken, Reden und Briefe Kurt Gossweilers, die in der Schriftenreihe der KPD, in der offen-siv und der KAZ erschienen sind. Herausgeber: KPD, offen-siv, Freidenker-Verband, GRH, Eulenspiegel-Verlag. 2017, Bd 2,

Kontakt und Bestellungen: 
redaktion@offen-siv.com
Tel./Fax: 05572 – 999 22 42

 

Hinterlasse einen Kommentar