Nachfolgend wird eine nicht autorisierte Übersetzung einer Buchbesprechung aus der linken US-amerikanischen Monatszeitschrift „Monthly Review“ über das Buch von Chris Miller „Chip war: The fight for the world`s most critical technology“ (London/New York, 2022, 431 pp.); deutsche Übersetzung: Chris Miller „Der Chip-Krieg. Wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft auf der Welt kämpfen“ (Rowohlt-Verlag, Hamburg, 2023, 500 Seiten, 30,– Euro) abgedruckt:
Was lernen wir aus dem Chip-Krieg über den Kapitalismus?
von Rahul Varman (*), „Monthly Review“ Volume 75, Number 06 (November 2023)
Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass der Chip zu einem wesentlichen Rohstoff für die wirtschaftliche Entwicklung geworden ist, so wie es der Stahl vor einem Jahrhundert war. Der Untertitel von Chris Millers „Der Chip-Krieg“ selbst bezieht sich auf “ Die wichtigste Technologie der Welt“. Chips sind von zentraler Bedeutung für die Technologien, die unser Leben verbessern – PCs, Mobiltelefone, das Internet. Im Jahr 2021 stellte die Computerchip-Industrie mehr Transistoren her als alle Waren in der Geschichte der Menschheit zusammen. (1)
Halbleiterchips sind wahrlich ein Wunderwerk menschlicher Bemühungen und zeigen, wie weit wir bei der Nutzung der physischen Welt gehen können. Ein iPhone12 wird heute von einem A14-Prozessor angetrieben, in dessen Silizium rund zwölf Milliarden Transistoren eingearbeitet sind; ein selbstfahrendes Fahrzeug ist wie ein Smartphone in dem Sinne, dass spezialisierte Chips der Schlüssel zu seinem Funktionieren sind. Die größten Automobilhersteller der Welt können in einem einzigen Auto Chips im Wert von mehr als 1.000 Dollar einsetzen.
Die moderne Chipindustrie scheint den Triumph privater Großkonzerne über staatliche Einrichtungen zu repräsentieren. Wir hören ständig von Unternehmen wie Apple, Intel, Samsung, IBM, Facebook, Amazon und vielen anderen. Chips stehen wahrlich für eine globalisierte Produktion. Wie Miller in seinem Vorwort schreibt:
„Ein typischer Chip könnte mit Entwürfen des japanischen Unternehmens Arm mit Sitz in Großbritannien von einem Team von Ingenieuren aus Kalifornien und Israel unter Verwendung von Designsoftware aus den Vereinigten Staaten entworfen werden. Wenn ein Entwurf fertig ist, wird er an eine Anlage in Taiwan geschickt, die hochreine Siliziumscheiben und Spezialgase aus Japan bezieht. Das Design wird mit Hilfe einiger der weltweit präzisesten Maschinen, die Materialschichten von wenigen Atomen Dicke ätzen, abscheiden und messen können, in das Silizium gemeißelt. Diese Werkzeuge werden hauptsächlich von fünf Unternehmen hergestellt, einem niederländischen, einem japanischen und drei kalifornischen….. Dann wird der Chip verpackt und getestet, oft in Südostasien, bevor er nach China geschickt wird, um in ein Telefon oder einen Computer eingebaut zu werden.“ (2)
„Der Chip-Krieg“ist informativ, vor allem für diejenigen, die mit den Besonderheiten der Halbleiterindustrie nicht vertraut sind, und vermittelt ein umfassendes Verständnis einer Branche, die für die heutige Ordnung von zentraler Bedeutung ist. Es bietet dem Leser eine umfassende historische Darstellung der sich wandelnden Technologie, der Geschäftsmodelle und der Landschaft der kritischen Halbleiterindustrie und ihrer sich ständig verändernden dominierenden Kräfte und Akteure. Es stellt die Geschichte der Branche seit ihren Anfängen in den späten 1940er Jahren dar, als die Transistoren in den Bell Laboratorien von William Shockley und seinen Kollegen erfunden wurden, bis zum heutigen Tag. In dieser Hinsicht verdient das Buch zu Recht das Lob und die ausgezeichneten Kritiken, die es aus fast allen Ecken erhalten hat, darunter von führenden Denkfabriken, Strategen, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs. Aber der lehrreichste Aspekt des Buches, noch mehr als die vielen Details über die Halbleiterindustrie, ist das, was man über den Kapitalismus erfährt.
Alles über Monopolkapital
Das erste, was wir aus „Der Chip-Krieg“ lernen, ist, dass wir uns wahrhaftig im Zeitalter des Monopolkapitals befinden. Vielleicht lässt sich dies am besten am Beispiel von Advanced Semiconductor Materials Lithography (ASML) veranschaulichen, einem wichtigen Hersteller von Fotolithografie-Maschinen, mit denen Transistorstrukturen auf Siliziumscheiben geätzt werden. Das niederländische Unternehmen ASML wurde 1984 gegründet, als Philips seine Lithografiesparte ausgliederte. Mit der Übernahme der Silicon Valley Group von Intel durch ASML im Jahr 2001 erlangte das Unternehmen die vollständige Kontrolle über das weltweite Angebot an Fotolithografiemaschinen, ohne die keine modernen Chips hergestellt werden können. Sind solche Monopole erst einmal etabliert, ist es fast unmöglich, sie zu brechen, denn es sind enorme Investitionen erforderlich, die vielleicht in keinem anderen Industriezweig der Welt so hoch sind, zumal sich die Weltwirtschaft erheblich verlangsamt. Gegenwärtig gibt die Chipindustrie weltweit jährlich über 100 Milliarden Dollar für Investitionen aus.
Um die Funktionsweise des Monopolkapitals in der Halbleiterindustrie zu verdeutlichen, nehmen wir das Beispiel der Entwicklung der EUV-Lithografie-Technologie (Extreme Ultraviolet Light) von ASML. Die Miniaturisierung von Chips erfordert die Nutzung von EUV, das mit einer Wellenlänge von 13,5 Nanometern (ein Tausendstel der Dicke eines Blattes Papier) arbeitet. Die Entwicklung eines EUV-Geräts war eines der größten technologischen Wagnisse unserer Zeit; jeder Schritt erforderte bahnbrechende Innovationen. Eine EUV-Maschine kostet mehr als 100 Millionen Dollar, und jedes Bauteil ist für eine Lebensdauer von mindestens 30.000 Stunden ausgelegt – das sind fast vier Jahre Betrieb. ASML-Personal ist während der gesamten Lebensdauer der EUV-Maschinen zur Wartung vor Ort. Diese Maschinen sind angeblich die „teuerste in Serie gefertigte Werkzeugmaschine der Geschichte“. (3)
Jahre bevor ASML ein funktionierendes EUV-Werkzeug produzierte, investierten seine größten Kunden – Intel, Samsung und die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) – jeweils in großem Umfang direkt in ASML, um sicherzustellen, dass das Unternehmen über die erforderlichen Mittel zur weiteren Entwicklung von EUV-Werkzeugen verfügte. Allein Intel investierte 4 Milliarden Dollar, zusätzlich zu den Milliarden an früheren Zuschüssen und Investitionen im Laufe der Jahre. Die Bewältigung der Herausforderungen, nur den Laser des EUV-Werkzeugs herzustellen, dauerte ein Jahrzehnt, da feinste Spiegel benötigt wurden, wie sie noch nie zuvor hergestellt worden waren. Für jeden Laser wurden 457.329 Teile benötigt, von denen die meisten von verschiedenen Unternehmen auf der ganzen Welt bezogen wurden. Da ASML nur 15 Prozent der Komponenten für seine Maschinen selbst herstellte, kaufte das Unternehmen mehrere seiner Zulieferer und investierte in andere, um eine zuverlässige globale Lieferkette für die regelmäßige Produktion von EUV-Maschinen aufzubauen. Diese Maschine mit Hunderttausenden von Komponenten, deren Entwicklung Milliarden von Dollar und Jahrzehnte gekostet hat, entstand Mitte der 2010er Jahre.
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